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LENA IN TADSCHIKISTAN (18.2. - 1.4.17)

Di

11

Apr

2017

Ein Abschluss

Assalom und Priviet liebe im Stich gelassene Leser. Newsflash: Ich bin wieder in Deutschland. Schon seit mehr als einer Woche, aber trotzdem muss ich mich vor allem nach dem Aufwachen noch oft orientieren, bis ich mitbekomme, dass ich nicht mehr in Tadschikistan bin. Und daran, dass ich mal da war, werde ich durch sämtliche Mitbringsel und Nachrichten auf Facebook, Whatsapp und Viber aus Tadschikistan zum Glück noch täglich erinnert.

Ob sich was in Deutschland verändert hat, wage ich mal nicht zu behaupten, aber wie das nach jeder Reise so ist, findet man immer wieder andere Dinge und Bräuche, die man dann plötzlich doch hinterfragt. Oder die einem erst mal auffallen. Das ist ja natürlich auch immer relativ, also kommt darauf an, wo man war. Trotz sämtlicher wissenschaftlicher Kulturvergleiche und Reiseführer, die einem die Kultur „beschreiben“, denke ich, dass das immer individuell ist. Jeder Mensch hat ja einen anderen Ausgangspunkt und Dinge, die er oder sie kennt. Und die sind dann der Ausgangspunkt für alle Vergleiche mit dem Unbekannten und daraufhin leider auch oft für Bewertungen. Um das mal an einem Beispiel zu verdeutlichen (zu versuchen): Zurück in Berlin, nach 9h im Flugzeug und einer überraschenden Zwischenlandung in der Russischen Taiga ziehe ich meinen liebevoll in Plastikfolie gewickelten Koffer aus dem internationalen Bereich, über die Zollgrenze, hinein in den Flughafen Tegel. Da stehen viele Leute, ähnlich wie bei meiner Ankunft in Chudschand. Aber dahinter sitzen unglaublich viele zu korpulente Menschen auf viel zu kleinen Stühlen in einem überfüllten Fast-Food-Restaurant und sprechen mit ihren mit Burgern und Pommes vollgestopften Mündern Deutsch.

Mir war das so ein fremdes Bild. Das hatte ein bisschen einen Hauch von „Zivilisation“ und Verwestlichung, amerikanisches Klischee in Deutschland. Natürlich gibt es in Tadschikistan auch übergewichtige Menschen, aber bei „Taj Burger“ war nie so viel los, obwohl alles aus dem Westen ja eh ein Trend war. Nach Amerika wär mir dieses Restaurant ja nicht aufgefallen, weil ich das von dort gewohnt war. Aber jetzt eben. In Tadschikistan herrschte auch ein viel zu perfektes Bild von Deutschland und irgendwann vergisst man auch ein paar Dinge. Perfektes Bild, weil alle unbedingt in Deutschland studieren möchten und denken, es sei der Himmel auf Erden. Aber das ist eine andere Geschichte.

Das war jetzt also etwas, was ich in Deutschland gelernt habe. Und den treuen Stalkerinnen und Stalkern schießt jetzt mein Eintrag zu „Was ich bis jetzt gelernt habe“ und „Was ich noch nicht gelernt habe“ ins Bewusstsein. Und den würde ich jetzt gerne ausbauen.

Ich zitiere und nummeriere:

  1. "Wann grüße ich jemanden auf Tadschikisch und wann auf Russisch?
  2. Was tue ich, wenn in der Schule mal wieder das Chaos ausbricht, alle auf Tadschikisch durcheinander reden und in der Fünf-Minuten-Pause eine Lehrerkonferenz einberufen wird?
  3. Russisch und Tadschikisch
  4. Die Namen der Schülerinnen und Schüler (Dschahongir, Schachnoza und Co.)
  5. So spontan sein wie alle Einheimischen
  6. Was ich noch nicht realisiert habe: Dass ich hier bin.“

Zu 1.: Das war im Grunde genommen egal, ob ich auf Tadschikisch oder Russisch grüße. Dass ich Ausländerin bin, sieht man eh. Dann vermutet man immer, dass ich eher Russisch könnte als Tadschikisch. In manchen Situationen hab ich von Einheimischen aber auch gelernt, dass es ganz auf die Situation ankommt, ob man jetzt den Russen spielt oder den Tadschiken. Dann muss man vielleicht weniger für etwas bezahlen, bekommt keinen Ärger oder das Schmiergeld ist geringer.

Zu 2.: Wenn Chaos ausbricht, mache ich einfach mit dem weiter, was ich vorher gemacht habe oder mache gar nichts. Es ist halt auch kein Stress, wenn der Unterricht mal 10 Minuten zu spät anfängt. Lehrerkonferenzen hab ich vermieden, weil ich offensichtlich eh nichts verstanden habe.

Zu 3.: Hahaha, Tadschikisch kann ich sicherlich nicht. Wenige Wörter, wie: Hallo, Tschüss, Danke, Was kostet das?, einen Somoni, ok, dumm, Stopp, Teehaus, wir gehen, ja, nein und iiiiiiih. Ih bedeutet so ungefähr alles. Nicht nur ekelig, sondern auch „Iiiiih, wie schön!“ oder „Iiih, morgen fliegst du schon nach Deutschland?“. Auf Russisch konnte ich am Ende schon erstaunlich viel verstehen und mir sogar in Moskau selber Essen bestellen. Jede Woche hatte ich das Gefühl, meine Gastfamilie würde anfangen, neue und andere Wörter benutzen, weil mir immer mehr einzelne Wörter aufgefallen sind. Wirklich sprechen kann ich aber nicht. Es ist alles falsch und meine Rechtschreibung ist auch eine Katastrophe. Zum Glück gibt es Autokorrekt auf dem Handy. Und Sprachkurse an der Uni.

Zu 4.: Doch, ein paar Namen hatte ich am Ende dann doch schon drauf. Es kam halt noch dazu, dass es viel zu viele Kinder sind, um sich auch noch alle Gesichter zu den Namen zu merken.

Zu 5.: Dass ich morgens keine Ahnung hab, was ich abends gemacht haben werde (Wow, Futur 2), war schon Normalität. Die Spontaneität bekommt man ein bisschen aufgezwungen, aber wie man damit umgeht, entscheidet, ob es im Nachhinein ein guter oder ein schlechter Tag war, wenn man das denn so kategorisieren will. Man kann sich halt echt über alles Überraschende aufregen und sich Sorgen machen, was wohl passieren wird und währenddessen vergessen, den Moment zu genießen. Am Ende bin ich ja immer gesund wieder nach Hause gekommen. Die kleine Deutsche in mir hat es aber trotzdem noch ganz gerne, ab und zu einen Plan zu haben.

Zu 6.: Doch, irgendwann habe ich realisiert, wo ich bin. Und ich hab wirklich Fernweh. Es gibt noch eine Menge zu sehen und ich werde zurück kommen.

 

Und noch ein paar Dinge, die ich gelernt habe:

  • Ohne Portemonnaie, sondern nur mit Scheinen in der Tasche leben, die alle in der Mitte gefaltet (und durch Tesafilm/Scotch vorm Zerreißen bewahrt werden) und zusammengesteckt sind.
  • Sonnenblumenkerne knacken
  • Als Gastgeberin entschuldigt man sich beim Abschied für alle eventuellen Beleidigungen.

Also sorry, und danke fürs Lesen. Und hier sind noch ein paar Bilder:

 

Und damit wäre das Speicherplatz-Limit für diesen Blog auch schon erreicht. 

Höchste Zeit, einen neuen Blog einzurichten, sollte ich mal wieder eine Reise machen.

Wir sehen uns dort!

Lena

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Di

21

Mär

2017

NAVRUZ!

Am Montag war dann also Navruz. Offiziell wird das persische Neujahr immer am 21.3., also dem Frühlingsanfang gefeiert. Da das aber ein schulfreier Feiertag ist, haben wir die Feierlichkeiten in der Schule auf Montag verschoben. Was heißt wir? Ich hab da gar nichts entschieden. Und ich hab auch gar nicht mitbekommen, wie viel Arbeit hinter all der Organisation steckte.

Letzte Woche hatte ich mit Madina schon ein traditionelles Outfit für mich besorgt und einen Mantel mit „Atlas“, dem ach so wichtigen Stoff, den alle tragen, hatte ich auch schon. Sonntagabend wurde mir dann auch eine traditionelle Mütze rausgesucht und tausende hohe Schuhe wurden mir vorgeführt. Die hab ich dann anprobiert, aber mich eh für meine mitgebrachten flachen entschieden. Ich hätte doch gar nicht laufen können. Montag mussten wir dann richtig früh aufstehen, weil die Schule schon um 8 beginnt. Das ist jetzt der neue Stundenplan für den Sommer. Die Marschrutka ließ auf sich warten und mir war schon etwas kalt. Irgendwann waren wir dann in der Schule und fast alle Mädels hatten traditionelle Kleidung an. Meistens sind das ein unterschenkellanges Kleid und eine weite Hose im gleichen Stoff. Dann noch eine Mütze im gleichen Muster dazu und perfekt ist der tajik style. Die Jungs hatten ihre normale Schuluniform an und einige wenige einen langen Mantel mit einem Atlas-Gürtel. Es war eigentlich ein grauer Morgen, aber durch all die Farben und die langsam blühenden Bäume sah alles ganz anders aus. Alle freuten sich über mein Outfit und gegen neun fing dann auch die Feierlichkeit an. Wir VIPs, also die Deutschen nahmen Platz auf dem großen Bett – wir wissen nicht, wie das heißt. Es sieht halt aus wie ein übergroßes Bett, aber ist sozusagen Sitzfläche und Tisch gleichzeitig. Wir saßen da auf jeden Fall anderthalb Stunden lang bei ungefähr 10 Grad und staunten über die Show. Es gab viel Musik und es wurde viel getanzt (also Tanzaufführungen) und Traditionen vorgestellt. Es gab ein paar Lieder und ein Theaterspiel. Aber vor allem viel traditionelle Musik und Tänze. Das war wirklich beeindruckend, denn in Deutschland (ich mein damit jetzt meine ehemalige Schule, so wie ich sie damals empfunden hab) hätte das niemand gemacht. Zwischendurch wurden auch die Sportler und Sportlerinnen der Schule geehrt. Und alle hatten ihre Medaillen um den Hals, also alle, die sie in ihrer Karriere bekommen haben. Ich finde es voll schön, dass die Schule so stolz auf solche Leistungen ist.

Am Ende der Veranstaltung gab es dann eine kleine Modenschau, in der alle Mädels ein Mal ihre Tracht vorführen sollten. Da saß ich da also halb eingefroren in der Kälte und plötzlich kommt meine Kollegin zu mir und meinte, es gäbe den Wunsch, dass ich als Letzte laufe. Ey, ich. Natürlich konnte ich mich nicht wehren und wurde dann für meinen Geschmack ein bisschen zu sehr gefeiert und bejubelt, als ich dann tatsächlich gelaufen bin. Aber irgendwie war es auch schön. Ich mag die Schule wirklich sehr.

Am Ende wurde dann noch getanzt, wir haben noch etwas gegessen und ich bin dann völlig erledigt um 12 nach Hause gefahren. Traditionell muss es zu Navruz 7 Speisen mit „S“ und 7 Speisen mit „Sch“ geben. Eine davon haben wir dann gegessen. So wie man hier halt isst. Jeder hat seine eigene Gabel, aber es gibt nur einen Teller. Kein Wunder, dass wir alle ständig krank sind.
Zu Hause musste ich dann erstmal schlafen. Ich war komplett reizüberflutet und zudem ja auch durchgefroren. Eigentlich war mir nicht so kalt, aber trotzdem tat alles weh.

Es gab dann noch eine Suppe und wir machten uns (jetzt umgezogen in normaler Kleidung) zurück in die Schule, wo die elfte Klasse eine Party veranstaltet hat. Sie haben die Kantine komplett abgedunkelt und von Tischen befreit. Eine richtige Musikanlage wurde aufgebaut und es wurde zu richtig lauter, guter Musik getanzt. Und es haben wirklich fast alle getanzt und richtig gefeiert. Richtig cool! Zwischendurch gab es noch zwei Mal Essen und Trinken und sonst wurde fast die ganze Zeit getanzt. Viel „normale“ elektronische Diskomusik und Remixe, aber auch traditionelle tadschikische Lieder und auch ein paar deutsche. Es ging richtig ab und es hat echt Spaß gemacht, einfach mal mit denen zu feiern, mit denen man sonst „Unterricht“ macht. So richtig als Lehrerin sehe ich mich sowieso nicht. Und wenn gerade nicht getanzt wurde, haben wir rumgesessen und uns unterhalten. Die zehnte und elfte Klasse mag ich halt echt am liebsten, weil man mit denen schon wirklich reden kann. Die kleinen sind zwar süß, aber meistens auch sehr anstrengend.

Außerdem wurde Sumalak zubereitet, eine zentralasiatische Süßspeise aus Weizen. Dazu wird etwa 24 Stunden lang in einem großen Topf überm Feuer Wasser mit dem Weizenzeug verrührt und gekocht. Es muss die ganze Zeit gerührt werden und wenn man rührt und dabei ein Kopftuch trägt, darf man sich etwas wünschen. Am nächsten Morgen wurde der Sumalak dann verteilt. Die elfte Klasse hat in der Schule geschlafen und ein paar Leute sind extra nochmal wiedergekommen.

Ich hab aber lieber zu Hause geschlafen. Natürlich wollten die Schüler, dass ich bleibe, aber ich habe gesagt ich bin alt und kann nicht.

Heute hab ich dann ausgeschlafen und war nachmittags mit den anderen Freiwilligen im schaschlikverrauchten Stadtzentrum. Wir sind herumgelaufen, haben die farbenfrohen Massen beobachtet, haben Schaschlik gegessen und haben dann nach einem gescheiterten Versuch, in ein anderes Dorf zu fahren, die Lenin-Statue nochmal besucht. Der Freizeitpark dort machte letztes Mal zwar den Anschein verlassen zu sein, und der Tüv würde das sicherlich auch empfehlen, aber heute liefen die Fahrgeschäfte und die Schiffsschaukel und es war ordentlich was los.

Und jetzt sitz ich – Überraschung – zu Hause am Laptop, draußen regnet es ziemlich dolle, ich gucke Russisches Fernsehen, in der Hoffnung, dass ich dadurch besser Russisch lerne. Es kommt gerade sowas wie „Britt“, also Leute, die sich anschreien und beschimpfen. Oha, und die haben alle ziemlich schlechte Zähne. Könnte glatt Tadschikistan sein, denn hier hat auch jeder mindestens einen Goldzahn.

Genießt die Bilder und bis bald,

 

Lena

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Mo

20

Mär

2017

Ein guter Tag

Nun ist es schon recht lange her, dass ich zuletzt etwas geschrieben habe. Das ist aber auch ein gutes Zeichen, denn ich fühle mich hier wohl und hab immer was zu tun. Und natürlich verbring ich lieber Zeit mit der Gastfamilie und Freunden, statt mit meinem Laptop.

Ich merk auch, dass die Zeit immer weiter voranschreitet und mein Abschied näher rückt. Ich glaube, dass ich es in Deutschland noch weniger als jetzt realisieren kann, jemals in Tadschikistan gewesen zu sein.

Bevor ich aber jetzt in der Philosophie versinke, erzähl ich mal von dem bisher spannendsten Tag. Freitag war das Wetter sehr gut, aber nach der Schule war nicht mehr genügend Zeit, um etwas Richtiges zu unternehmen. Also haben wir den Plan, ein deutsches Dorf zu besuchen, auf Samstag verschoben. Nach der Schule sind wir also losgezogen, also Wiebke (die deutsche Deutschlehrerin), Hendrik (der neue kulturweit-Freiwillige) und ich. Zuerst ging es mit dem Taxi an den Rand der Stadt, zum „zentralen Omnibusbahnhof“. Das ergibt irgendwie keinen Sinn, dass sowas dann auch noch den Namen „zentral“ trägt, aber in Berlin ist der ZOB auch nicht zentral. Das erste Taxi war eine ganz gewöhnliche Klapperkiste, die zufälligerweise auf dem Schulhof stand, weil einige Schüler sich vom Supermarkt haben abholen lassen, nachdem sie für die große Party morgen eingekauft haben. Da wir aber eine Tour in die Berge planten und der Taxifahrer sowieso einen gewöhnungsbedürftigen Fahrstil und keine Sicherheitsgurte hatte, mussten wir wechseln.

Meine Wasservorräte neigen sich dem Ende zu und Hendrik und ich statten dem örtlichen Supermarkt noch einen kurzen Besuch ab, während Wiebke einen guten Preis für die Taxifahrt ausmachen will. Als wir aus dem Supermarkt herauskommen, fehlt von ihr jede Spur. Nur ein Taxifahrer versucht uns in dein Taxi zu drängen, was wir dankend ablehnen, weil wir ja Wiebke suchen. Er hört aber nicht auf zu reden und deutet letztendlich auf Wiebkes Tasche, die auf dem Rücksitz liegt. Dazu sagt er noch „Mama gavarit“, also im Grunde genommen, dass unsere „Mama“  ihn beauftragt hat, uns abzufangen. Sie sitzt derweil im Restaurant und isst eine Suppe. Der Taxifahrer wartet aber ganz geduldig. Liegt vielleicht an dem europäischen Preis, den die beiden abgesprochen haben.

Nach dieser Verschnaufpause geht’s los. Das Standardgespräch a la „Ihr kommt aus Deutschland, ich kenne auch jemanden in Deutschland“ geht los (sein Bruder arbeitet bei Mercedes in Stuttgart) und plötzlich hat Hendrik das Handy des Taxifahrers am Ohr, in dem jemand auf Englisch fragt, wie er nach Deutschland kommen könne. Das Handy bleibt den ganzen Nachmittag der treue Begleiter des Taxifahrers, meistens auch leider in seiner Hand oder an seinem Ohr, während er nicht angeschnallt ist. Es gibt sogar hinten Sicherheitsgurte. Luxus! Der Preis war ja schon vorher abgemacht, also konnte ich mich anschnallen, ohne eine höhere Summe fürchten zu müssen. Wenn der Taxifahrer gerade nicht telefoniert, spielt er den Reiseleiter und erzählt Geschichten über all die Dörfer und Fabriken, die wir passieren. Seine Geschichte von einem Fluss, in den man nur seine Hände hält und schon Gold in der Hand hat, lässt den vermuteten Wahrheitsgehalt und die Glabwürdigkeit all seiner anderen Stories aber sinken. Übrigens alles auf Russisch, aber Wiebke konnte das meiste übersetzen und ich versteh ja auch schon ein bisschen, aber echt nur ein bisschen.

Er erzählt auch viel über die Chinesen und Kanadier, die hier in den Uran-Minen arbeiten, was bei uns die Frage aufwirft, was Uran überhaupt ist. In der Entfernung zeigt er auf rote Stellen im Berg, die angeblich Uran sind. Mittlerweile haben wir auch schon definitiv die Stadt verlassen und die erste Bergkette und die Mautstelle (die chinesische Schilder hat) passiert. Nun sieht man in der Entfernung die schneebedeckten Kuppen Kirgistans und Usbekistans. Und da wir schon mal über Usbekistan sprechen, zeigt der Taxifahrer uns auch gleich sein usbekisches Visum. Trotz seines Multitaskings fährt er sicher und warnt uns sogar, bevor er über ein Schlagloch fährt. Den ersten Halt machen wir an einem Ortsschild für eine Stadt und kurz darauf bei einer Schafherde. Wir gehen dichter ran, machen Fotos und merken dann, dass der Schäfer auch da ist. Und nein, das ist nicht so ein Bauer wie zu Hause, der mit seinem hellblauen Pickup ein paar Mal am Tag zu seinen ausgebrochenen Schafen fährt und sie aus den Gärten der Anwohner entfernt. Nein, das ist so einer, der jeden Tag den ganzen Tag mit seinen freilaufenden Schafen auf der Wiese steht und aufpasst. Es war wirklich krass, den zu sehen und zum Glück konnte unser Taxifahrer übersetzen und hat dann auch ein Foto von uns mit dem Schäfer gemacht. Das Foto werdet ihr auch früher oder später zu Gesicht bekommen, aber der Schäfer sah wirklich unglaublich aus. Also unvorstellbar. Und mit so ganz brauner gegerbter Haut. Ich frage mich, was er wohl gedacht hat, als wir da ankamen. Und generell, was er den ganzen Tag so denkt und was er sonst in seinem Leben so macht. Einfach eine andere Welt.

Nach ungefähr einer halben Stunde Fahrtzeit kommen wir in Tabasha an, das jetzt Istiklol heißt, weil irgendwie ständig Städte umbenannt werden. Nach nur zwei Minuten in der Stadt, fährt auch schon die Polizei vor und will uns kontrollieren. Aber weil nur Wiebke gerade am Auto war, wurde auch nur sie kontrolliert. Mehr oder weniger verfolgt hat uns das Polizeiauto aber trotzdem. Die dachten bestimmt, wir sind Spione.

Und jetzt kurz zum Dorf. So richtig ein Dorf ist es nicht, eher eine Stadt. Zu Sowjetzeiten haben hier noch deutlich mehr Menschen gewohnt und es war gepflegter, aber „die Russen sind immer noch hier“. Das sagt zumindest Charles, ein Engländer, der dort eine Firma hat, die aber ‚secret‘ ist und keiner sagt genau, was die arbeiten. Es geht auf jeden Fall um Minen und sicherlich auch um Uran. Unwissend wie immer, hatten wir Wiebke das Steuer in die Hand gegeben (nur metaphorisch, der Taxifahrer ist gefahren) und sie hat uns nach einer kleinen Stadtrundfahrt inklusive Spaziergang durch die Straßen, wo eine Frau erkennt, dass wir Deutsch sprechen, zu eben dieser Firma gebracht. Die Assistentin macht die Tür auf und verneint Charles‘ Anwesenheit, nach einem kurzen Anruf ist Charles dann aber doch da, führt uns durch das Bürogebäude und bietet uns Kaffee an. Und den Taxifahrer haben wir im Schlepptau. Der interessiert sich sehr für die Firma und hat schon wieder jemand Englischsprachiges am Telefon. Das Gebäude ist frisch saniert und die Badezimmer sind sogar schöner als die meisten in Europa (da fällt mir wieder auf, dass ich in Asien bin).

Nach dem Kaffee fahren wir zu einem Friedhof, auf dem es deutsche Grabsteine gibt. Nach dem Krieg wurden hierher nämlich deutsche Kriegsgefangene gebracht, um im Uranabbau zu arbeiten.

Es gibt hier auch eine Menge Steinhäuser nach deutschem Stil. Aber es gibt eben auch ein Konzentrationslager, wo die Männer untergebracht wurden. Und oft wussten die Angehörigen nicht mal, dass ihre Verwandten hier sind und noch leben. Neben Russisch, Tadschikisch, Usbekisch, Chinesisch, Englisch und Pamir hat man hier eben auch Deutsch gesprochen. Irgendwann in den Siebzigern hat aber jemand all die Gefangenen zurück nach Deutschland gebracht. Also sind hier jetzt nur noch die Nachfahren, und die deutschen Grabsteine. Und natürlich auch ein paar Nachfahren, aber die sprechen kein Deutsch mehr. Der Mensch, der sie alle nach Deutschland gebracht hat, hat dafür einen Mercedes bekommen. Das war dann der erste Mercedes hier im Dorf.

Diese Stadt war so faszinierend! Erst mal so viele Sprachen und Schriften und dann auch noch die Berge. Aber vor allem dieses Ding mit den Kriegsgefangenen und den wohl nicht so ganz legalen Arbeiten in den Minen, die ja auch mega gefährlich sind wegen der Radioaktivität. „Die Russen“ sind auch noch hier und wer weiß, was sie hier tun. Man fühlt sich echt wie in einer anderen Welt! Die deutsche Bauweise verzerrt das Bild aber wieder und ich weiß gar nicht, wohin ich das jetzt einordnen soll. Es war einfach so verrückt und anders und falls es von dieser Welt ist, dann ist es irgendwo in der hintersten Ecke. Und das ist es ja wirklich und das merkt man.

Langsam wird es dunkel und wir sollten den Rückweg antreten. Schnell noch die Gastfamilien informiert, dass wir wahrscheinlich erst 1,5h nach der versprochenen Zeit eintreffen werden und auf geht’s.  Der Taxifahrer, der ja auch noch dabei ist, und versucht, ein guter Reiseführer zu sein, tätigt auch mehrere Anrufe. Dafür, dass wir so lange gebraucht haben und er sogar mit uns über den Friedhof kommen musste, ist er echt gechillt. Ich will gar nicht wissen, wie das im spießigen Deutschland wäre.

Es geht auf jeden Fall wieder vorbei an einem kleinen Mini-Fluss, der irgendwo aus den Bergen kommt und Teil der Wasserversorgung für die Stadt ist und rein ins Gewitter. Zum Glück sind wir aber im Auto, und ich bin sogar angeschnallt, also kann nichts passieren. Es sind zwar ein paar Autos unterwegs und das Unwetter ist nicht ganz alleine, aber ich finde den Gedanken sehr interessant, dass Unwetter ja teilweise irgendwo in der Natur wüten und niemand etwas mitbekommt.

Abends sitze ich dann völlig verwirrt und müde in meinem Zimmer und frage mich, was eigentlich alles passiert ist. Das war wieder einer der Tage, an denen ich nicht realisiere, wo ich gerade bin und auch einer der Tage, an die ich mich lange zurückerinnern werde.

Zum Glück hab ich es jetzt aufgeschrieben und werde es hoffentlich nie vergessen.

Bis irgendwann davor,

 

Lena

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So

19

Mär

2017

Ausflug in die Berge

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Sa

11

Mär

2017

Halbzeit

Verrückt, wie die Zeit vergeht!

Der Schulalltag ist nicht sonderlich spektakulär, aber doch jeden Tag spannend und es geht immer tiefer in die tadschikische Kultur. Seit der andere Freiwillige da ist, habe ich gemerkt, dass ich mich in ganz vielen Dingen schon angepasst habe. Schulklingel, Stundenplan, Pünktlichkeit – alles nur Auslegungssache. Ist bestimmt nicht die beste Idee, in Deutschland so weiterzumachen, aber die tadschikische Gelassenheit möchte ich trotzdem gerne mitnehmen. Man ist immer auf alles gefasst und niemanden schockt es, wenn der Strom ausfällt, jemand einfach auf die Straße läuft (heute ist eine Marschrutka gegen einen Mann gefahren, damit er aus dem Weg geht), man zu wenige Klausurexemplare zugeschickt bekommen hat, eine spontane Schulversammlung draußen einberufen wird bei gefühlten -1°C oder wenn man spontan einen ganzen Tag lang Vertretungsunterricht macht. Okay, letzteres habe ich nicht ganz so gelassen hingenommen, aber spontan hat das auch alles super geklappt und die Schüler hatten Spaß, und haben Deutsch gesprochen, das ist die Hauptsache, finde ich. Es war aber auch ein unglaublich lauter Tag. In der fünften Klasse war ich zum ersten Mal und ich wurde mit Fragen bombardiert. Dank ihrer mangelnden Deutschkenntnisse wurde die Frage nach dem Namen meines Vaters auch bestimmt sieben Mal gestellt, weil sie einander nicht verstehen oder alle so laut schreien, dass sie die anderen nicht hören. Irgendwann haben sie dann auch die deutsche Nationalhymne angestimmt, sind aber wenigstens währenddessen sitzen geblieben. Die haben alle große Schwierigkeiten, auf ihren Plätzen zu bleiben und es ist immer ein ewiges Hin und Her. Aber sie machen ihre Aufgaben, hören zu, schreiben in ihr Heft und melden sich alle bei jeder Frage mit „Darf iiich?“. Die könnten glatt mal die Hälfte ihrer Motivation und Disziplin nach Deutschland schicken! Klar bin ich hier auch an einer Eliteschule und die Schüler wissen, wie wichtig die Noten sind, um ein Mal in Deutschland oder Russland studieren zu können. Übrigens enorm, wie viele nicht hier bleiben wollen. Und gleichzeitig singen sie alle lautstark ihre Nationalhymne mit und salutieren. Aber sowas wie Nationalstolz ist für mich wirklich sehr schwer nachzuvollziehen. Genauso wie der Wert, der hier auf Handys gelegt wird. Das ist ja wohl das Prestige-Ding Nummer eins! Am 8.3., dem internationalen Frauentag, der hier ein Feiertag ist, sind wir bowlen gegangen und die Zeit im amerikanisch-aussehenden Bowlingcenter wurde dazu genutzt, sich und die anderen in mindestens 17 verschiedenen Perspektiven auf allen Hockern und Stühlen mit einem iPhone am Ohr, wichtig in die Entfernung schauend, zu fotografieren. Der Weg nach draußen war dann auch entsprechend lang. Das war wie mit kleinen Kindern, die die Zeit möglichst lange hinauszögern wollen und plötzlich jeden Stein und jedes Blatt interessant finden und anhalten. Anschließend sind wir auch noch mit dem Lagerverwalter (so wurde er mir vorgestellt) der Tante Eis essen gefahren und der Typ hat Sicherheitsgurte im Auto. Ich hab also die Chance genutzt und mich angeschnallt, die kleinen Freuden des Alltags. Mich überraschen mittlerweile auch Bilder aus Deutschland dahingehend, dass die Straßen so glatt und gerade sind und es keine Schlaglöcher in mehreren Dimensionen gibt. Hier hat auch jede Marschrutka-Windschutzscheibe einen Steinschlagschaden-Riss. Ironisch irgendwie, wenn die Marschrutka mit „Der Glaser kommt“ bedruckt ist. Ich habe auch schon „Rosenkranz – Dienstleistungen und Service“ und diverse Privatwagen mit deutschen Namensaufklebern am Heck gesehen. Ich frage mich, ob die ehemaligen (oder eigentlichen) Besitzer um das Schicksal ihrer Autos wissen.

 

Man kann sich Tadschikistan also folgendermaßen vorstellen: braun-graue Berge in der Entfernung, graue Häuser mit buntgefliesten Balkons, graue, breite Straßen mit etlichen Schlaglöchern, viele Autos und ein paar telefonierende Fußgänger zwischendrin, bunte Kleidung, aber alles unter einer dünnen braunen Staubschicht, niedrige Häuser, viele Geschäfte und Schaschlikgrills auf dem Fußweg, viel orientalische Musik und Marschrutkakassierer, die aus den Türen schreien, wo sie hinwollen. Es ist also immer laut. Zwischendrin hupt ein Auto, oder es zwitschert ein Vogel, denn hier hat sogar jeder Supermarkt seinen eigenen Vogelkäfig.

 

Wisst ihr eigentlich, woher das Uran für den Bau der ersten sowjetischen Atombombe herkam. Genau, aus Tadschikistan. Genauer gesagt aus Tschkalowsk, einer Stadt südöstlich von Chudschand. Da ist die Radioaktivität auch gleich ein bisschen höher, also zu hoch, denn in ganz Zentralasien strahlt es ordentlich durch die Gegend, weil die ehemaligen Atomkraftwerke nicht ordentlich gesichert sind. Da dort natürlich auch niemand arbeitet, ist die Stadt, in die mich am Sonntag ein Schüler eingeladen hat, ein verlassenes Trauerspiel. Natürlich sehr interessant, es wohnen ja auch noch einige Leute dort. Viele ehemalige Diskotheken (eine Disko ist hier entweder ein Club oder ein Bordell) sind geschlossen, in den Parks gibt es keine Bänke mehr, viele Gebäude stehen leer und den Sportkomplex darf man auch nicht mehr betreten. Das Highlight des Tages war aber eine Wanderung zu einem Canyon. Das war wirklich ein „Grand-Canyon“-Moment und wir sind runter geklettert. Nein, Mama, war nicht gefährlich.  Dann mussten wir einen Fluss überqueren, haben uns ein richtig altes verlassenes Dorf angesehen, das aufgrund der nur noch erhaltenen Kellerräume an Machu Picchu erinnerte, um dann auf der anderen Seite wieder hochzuklettern. Dieser Ausflug in die Natur war richtig schön und genau das, was man nach zwei Wochen in einer lauten, staubigen Stadt braucht.

Gestern bin ich dann mit der Marschrutka auf der anderen Seite aus der Stadt rausgefahren. Vorher bin ich noch mit der anderen deutschen Deutschlehrerin Schaschlik essen gegangen und dann hat sie mir die Strecke gezeigt. Wir zwei sind auch schon ein komisches Gespann, optisch total auffällig und mit mangelnden Sprachkenntnissen, aber immer eine erfolgreiche Kommunikation. Da irgendwo außerhalb von Chudschand sind wir dann ausgestiegen und konnten in der Ferne die Berge und in der Nähe die riesigen Aprikosenplantagen sehen, die sicher bald blühen werden. Die richtig hohen Berge hab ich leider echt lange nicht mehr gesehen, aber falls sie sich hinter der Staub-, Smog- und Nebelwolke nochmal hervor trauen, werde ich ein Foto machen.

 

Bis dahin, oder bis vorher,

 

Lena

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Sa

04

Mär

2017

Fotos

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Sa

04

Mär

2017

Lena allein in Khudjand

Meine Gastschwester war offiziell krank und ich bin alleine in Richtung Schule aufgebrochen. Die gelbe Marschrutka ist zum Glück auch nicht zu übersehen und ich bin gut in der Schule angekommen. In der ersten Stunde habe ich mich ein einer fünften Klasse vorgestellt, weil die mich noch nicht kannten. Ich scheine echt den Überblick verloren zu haben bei dem ganzen Chaos. Letztendlich kennt aber trotzdem jeder meinen Namen, so auch die nette Dame in der Mensa, die immer nur „Lenitschka“ sagt und sich freut. Die ist echt so lieb! In der zweiten Stunde male ich Plakate für das Sportfest, was nächsten Samstag stattfinden soll und in der dritten Stunde schauen wir uns den Deutschunterricht in der vierten Klasse an. Und die hat mich stark an die Stunden damals in der Schule erinnert, bei denen wir mit Süßigkeiten bestochen wurden, weil die Referendare ihre eigenen Prüfungen ablegen mussten. Die 45-minütige Deutschstunde enthielt alles: Lieder, etwas an die Tafel schreiben, Magneten an der Tafel, Hörverstehen, Gruppenarbeit, Theaterstück, Fragen aus dem Buch beantworten, noch ein Lied, Hausaufgaben abfragen, neue Hausaufgaben geben und ganz viel ähm ja genau ja ähm. Da scheint jemand mit Peter Zwegat von „Raus aus den Schulden“ Deutsch gelernt zu haben. Ich fand die Stunde eigentlich ganz ok, auch wenn sie offensichtlich schon mal geübt wurde. Dann begann aber die große Diskussion auf Russisch. Normalerweise reden sie Tadschikisch, wenn es locker zugeht. Und ich konnte so gar nicht einordnen, ob es jetzt gut war oder nicht.

Nach dem Essen hatte ich dann meine Olympiadenkinder wieder und hab mit ihnen geredet und mündliche Kommunikation geübt. Die sind in der achten Klasse und manchmal noch zu naiv und eben auch zu jung, um so richtig über manche Themen diskutieren und viele Beispiele finden zu können. Oder vielleicht auch zu müde. Schule schlaucht doch ganz schön. Ich bleibe also heute auch länger als gewöhnlich, weil ich nicht auf die Schulmarschrutka angewiesen bin. Nach Unterrichtsschluss bleiben immer noch einige Schüler und Schülerinnen in der Schule, um weiter zu lernen. Und die Lehrerinnen bleiben auch oft bis abends. Das ist wirklich ein unglaublicher Einsatz! Im Laufe des Nachmittags kam auch noch eine ehemalige Schülerin vorbei, die jetzt in Osnabrück studiert und in den Semesterferien jetzt wieder hier ist. Mit ihr hab ich mich dann am Freitag auch getroffen, um ein bisschen Englisch zu lernen, weil sie das jetzt für die Uni braucht.

Nachdem ich dann das Schulgebäude verlassen hatte, bin ich mit der deutsche Deutschlehrerin, die immer nur Frau ... genannt wird (alle anderen Lehrerinnen werden immer beim Vor- und Nachnamen genannt, und das in einer Geschwindigkeit, dass ich nur erahnen kann, wen sie meinen), in die „City“ gefahren, um Geld zu holen. Ich hatte die ganze Zeit ja nur meine 10€ aus Deutschland. Der Taxifahrer dorthin spricht irgendwie nicht, ich bin aber ganz froh, dass er uns trotzdem sicher ans Ziel bringt. Aus Sicherheitsgründen hab ich mich trotzdem angeschnallt. Wir müssen so oder so Europäerpreise zahlen. Nach dem Besuch in der Bank trennen sich unsere Wege und ich gehe weiter zu Li-Ning, um Madina ein Geburtstagsgeschenk zu kaufen. Ich suche eine Ewigkeit herum und finde dann eine schöne Sportjacke, auf der wie auf allen Artikeln drei verschiedene Preise stehen. Der günstigste mit VIP-Karte. Während des Suchens war ich ganz froh, dass mich niemand aufdringlich auf Russisch seine Hilfe angeboten hat. Jetzt musste ich ja aber an die Kasse und irgendwie verständlich machen, dass ich gerne eine VIP-Karte hätte. Es kamen eine Verkäuferin und ein Verkäufer auf einmal und man stellte mir so eine Karte aus. Da musste ich auch den Namen meines Vaters angeben, sehr merkwürdig. Sonst aber kaum Daten (das wär was für dich, Huli!) und meine tadschikische Handynummer hab ich je eh bald nicht mehr. Dass ich die Nummer und keine Postadresse angeben muss, wird mir dann klar als ich am nächsten Tag eine SMS von dem Verkäufer bekomme. Wäre jetzt in Deutschland auch eher gar nicht legal, so an irgendwelche Nummern zu kommen.

Anschließend gehe ich zu Megafon und versuche einen Internetstick zu kaufen, aber ich kann ja kein Russisch. Und die Leute dort können kein Englisch, sind aber genauso hilfsbereit wie in fast allen Läden hier. Ein Mann erklärt mir die Preise für 500MB, 1GB usw. und dass es immer nach einem Monat verfällt, man aber wieder mehr Volumen draufladen kann. Seine Ausführungen veranschaulicht er mit dem Zeigen auf ein Schild mit einer Liste alle Preise. Plötzlich ruft mich Nora, die andere Deutsche an und fast zeitgleich drückt man mir ein Handy in die Hand. Eins nach dem anderen. Am fremden Handy erklärt mir eine Frau auf Englisch die Preise für 500MB, 1GB usw. und dass es immer nach einem Monat verfällt, man aber wieder mehr Volumen draufladen kann. Gut, Zahlen kann ich schon lesen, aber danke. Ich entscheide mich für irgendwas und man drückt mir das Handy wieder in die Hand. Jetzt fragt die Frau, ob ich ihr Englischunterricht geben kann, ich sage ihr aber, dass ich leider keine Zeit habe. Vor sowas wird man immer gewarnt. Wär ja cool für die Leute, ihr Englisch gebrauchen zu können, aber ich hab auch nicht 24/7 Bock auf sowas. Man muss halt lernen, auch nein zu sagen. Denn ja ist hier verbindlich. Sie vergessen nie.

Letztendlich klappt es doch nicht bei Megafon und sie schickt mich weiter zu Tcell, weil meine Handykarte von Tcell ist. Der Laden sieht sehr westlich aus, die Dame spricht Englisch und ich muss erst mal 13 oder 30 Minuten warten. Ich komme dann recht schnell dran, aber sie erklärt mir, dass es im Moment keine Internetsticks gibt, what? Die nennen die hier übrigens Modem. Ich verlasse also den warmen Laden (es war echt kalt draußen!) und gehe in den Supermarkt. Anschließend treffe ich Nora und ihren weißrussisch-tadschikischen Russischlehrer im Restaurant, wo dann später noch ein Inder zu uns stößt. Das ist die Expat-Gruppe in Khudjand. Also die, die „Ausländer“-Gruppe (die, die nicht in ihrem Vaterland sind; ex patria). Wir essen Lipioschka, das tadschikische Brot, und trinken Tee und Tee und Tee. Der mit Sicherheit noch nicht volljährige und vielleicht nicht mal strafmündige Kellner bringt auch immer fleißig neue Kännchen. Irgendwann schau ich auf mein Handy und habe 14 verpasste Anrufe meiner Gastfamilie und einer Deutschlehrerin. Hupsi! Meine Nachricht, dass ich später nach Hause komme, hat wohl keiner gelesen und sie haben sich Sorgen gemacht. Dabei war es nicht mal dunkel draußen. So ein bisschen steht man da zwischen den Kulturen. Auch wenn die Leute hier sonst so gechillt sind, sind sie es bei sowas plötzlich nicht mehr. Da sind die Deutschen dann eher entspannter und warten ab. Vielleicht aber auch nur die Studierenden, Helikoptereltern sind da bekanntlich anders. Ich bin mittlerweile echt sehr an die Unabhängigkeit gewöhnt, aber muss mir auch irgendwo eingestehen, dass ich ein „Kind“ in der Gastfamilie bin. Auf jeden Fall rufe ich zurück und erkläre, dass ich nicht entführt wurde. Irgendwann beenden wir den lustigen dreisprachigen Abend, bei dem aber niemand alle drei Sprachen spricht, und ich nehme die Marschrutka nach Hause. So geil ist es dann doch nicht, die paar Minuten im Dunkeln bis zum Haus zu laufen und im Treppenhaus redet jemand Russisch mit mir und fragt, in welcher Wohnung ich wohne. Äh ok. Aber ich konnte ja schlecht lügen, weil man eh sieht, in welche Wohnung ich gehe. Gut, dass ich nicht alleine wohne. Den Abend lassen wir dann wiederum mit Tee ausklingen und ich falle todmüde wie immer ins Bett. Freitag ist wieder ganz normal Schule und nachmittags gehe ich zu Nodira Englisch lehren. Vorher bin ich noch kurz bei der Deutschlehrerin und stelle fest, dass die „Haustür“ zu tadschikischen Häusern immer nur ein Tor in den Innenhof ist. Und von dort aus gibt es dann mehrere Türen in mehrere Häuser, die nicht miteinander verbunden sind. Trotzdem zählt der Innenhof quasi als Flur mit zum Haus, was im Sommer auch echt schön ist. Jetzt ist es halt kalt. Ich latsche erst mal mit Schuhen in die Küche, oder halt ins kulturelle Fettnäpfchen, denn Schuhe werden im Haus wohl nicht getragen. Aber wenn’s doch so kalt ist! Das ist auch ein bisschen der Stil, in dem Frau ... über die tadschikische Kultur lernt, nur über Vermutungen, aber das scheint seit Jahren zu klappen. Wenn irgendwas ganz schlimm „falsch“ ist, wird das schon jemand sagen.

Zum Abendessen bin ich wieder zu Hause, Samstag gibt’s Tort Napoleon zum Frühstück und es ist Schule. Heute ist Sportfest der Lehrkräfte. Die Ladies machen Armdrücken und ich verliere drei von vier Partien, die andere war unentschieden. Armdrücken ist wohl voll der Nationalsport hier. Danach spielen wir vier Sätze Volleyball oder auch „so lange Aufgaben machen, bis die Aufgabe misslingt“. Ab und zu ist es doch zum Spiel gekommen und die ganze Schule hat geschrien und angefeuert. Die ganze Schule, außer Klasse 9 und 10, denn die mussten eine Probeklausur schreiben. Das Geschreie haben sie trotzdem gehört und prompt in ihren Brief an die Schülerzeitung zum Thema „Sport“ eingebaut. Nach Abgabe haben wir die Aufsätze durchgelesen und herrlich gelacht. Irgendwie ein bisschen unfair den Schülerinnen und Schülern gegenüber, aber teilweise ist der Ausdruck so lustig, sind die Wörter so falsch ausgewählt und die Ideen so verrückt oder naiv, da kann man gar nicht anders. Ich kann es nachvollziehen, dass es so viele Bücher über lustige Schülerzitate gibt. Aber nein, so ein Buch möchte ich nicht schreiben.

Eben (abends) waren wir noch Essen mit der Familie (also auch mit der lauten Tante) und es wurde viel Wodka getrunken. Aber immer noch zu wenig, um aufs Autofahren zu verzichten. Jetzt bin ich sehr müde und werde schlafen. Ich freue mich, dass morgen mein heiliges Wochenende und mein einziger Tag zum Ausschlafen ist.

Euch ein schönes zweitägiges Wochenende und eine schöne fünftägige Woche,

 

Lena

Sa

04

Mär

2017

Zweite Woche, erste Hälfte

Vor genau zwei Wochen hat die große Panik in mir ihren Höhepunkt erreicht. Ein Tag vor der langen, anstrengenden Reise, die ich am 1.4. andersherum wiederholen muss. Und jetzt kann ich ehrlich sagen, dass ich darauf definitiv keine Lust habe. Manchmal denke ich, dass ich noch ziemlich lange hier sein werde, vor allem wenn es in der Schule zäh und langweilig wird. Und wenn ich dann an all die Reiseziele und Sehenswürdigkeiten in der Umgebung denke, kommt mir meine Zeit hier unglaublich knapp und begrenzt vor. Einige Leute sprechen nicht mal mehr im Konjunktiv davon, was wir machen, wenn ich im Sommer hier bin. Dann werden hier aber über 40°C herrschen und das ist mir dann doch ein bisschen zu warm.

Am Montag ließ sich der Frühling hier zumindest schon erahnen, nur damit wir wissen, auf was genau wir uns während des jetzigen norddeutsch-tadschikischen Nieselregens bei 3°C freuen können.

Aber nun zu meinem ersten richtigen Wochenende. Wochenenden sind für mich ja eigentlich zwei Tage inklusive Ausschlafen und lange aufbleiben und vor allem das Wissen, dass ein zweiter Tag folgen wird. Am Samstag mussten wir aber tatsächlich noch früher aufstehen als gewöhnlich, denn wir laufen samstags zu Fuß zur Marschrutka, wofür man ungefähr 5 Minuten mehr einplanen muss. Der Schultag ist netterweise sogar eine halbe Stunde kürzer als gewöhnlich. In der Schule habe ich mittlerweile auch schon ein paar Mal selbst unterrichtet, was spontaner gar nicht hätte sein können. Aber es hat immer geklappt, auch wenn die sechsten und siebten Klassen extrem laut sind und viel Russisch reden, weil sie nicht alles verstehen, was ich sage. Und dann können die auch nicht auf ihren Plätzen sitzenbleiben. Aufstehen müssen sie sowieso, wenn jemand an der Tür klopft oder wenn sie drangenommen werden. Aber diese Kinder stehen dann alle vor einem und schreien „Darf ich? Darf ich?“ (mit langem „i“) und haben tausend Fragen und Ideen. Es ist aber total süß, wie viel Mühe sie sich auch auf dem Schulhof und in den Pausen geben, nur um mit mir zu kommunizieren. Meistens stehen sie dann in Dreiergruppen vor mir, reden Deutsch, Russisch und Tadschikisch gleichzeitig und beraten und verbessern sich gegenseitig. Neben dem Unterrichten habe ich auch schon sämtliche Aufsätze à la „Liebe Redaktion der Schülerzeitung. Neulich habe ich im Internet zum Thema ‚Haustiere‘ recherchiert. Dort habe ich vier Meinungen gefunden, die ich euch vorstellen möchte. [...] Das ist alles, was ich zu sagen habe. Ich hoffe, ihr veröffentlicht meinen Artikel. Liebe Grüße.“ lesen dürfen. Es gibt immer recht lustige Übersetzungsfehler, die der mangelhaften Wörterbucharbeit zuzuschreiben sind. Wenn Claudia (im Buch heißen die Leute alle Claudia, Sabine, Olaf, Jens, Thomas usw. und sind zwischen 6 und 14 Jahren alt, so realitätsnah!) sagt, ihre Wochenenden seien immer „gleich“, muss man ein anderes Wort im Wörterbuch suchen, weil die Textwiedergabe in eigenen Worten erfolgen muss. Und im Wörterbuch steht bei „gleich“ auch „ebenso“. Einfach das Kleingedruckte ignoriert und schwupps schreiben sie „Claudias Wochenenden sind immer ebenso“.

„Und nun möchte ich von meinen eigenen Erfahrungen berichten.“ (guter Übergang, das ist wichtig für das Deutsche Sprachdiplom. Und wenn man den ganzen Tag so einen Brei liest, spricht und schreibt man irgendwann auch so).

Samstag nach der Schule sind Madina und ihre Mama mit mir nach Arbob gefahren, einen Stadtteil von Khudjand, wo es einen alten Palast und ein beeindruckendes Teehaus gibt. Wir sind etwas umher gelaufen und haben das Museum besucht, und sind bestimmt auf einigen Hochzeitsfotos. Anschließend sind wir zurück in die City, haben Tante und Cousin eingesammelt und sind zum Vater gefahren, mit dem wir georgisch gekocht haben. Die Tante war sehr groß und ihre Taktik mit mir zu reden, war einfach sehr laut und langsam Russisch oder „Englisch“ zu sprechen. Also in etwa so, wie Deutsche im Ausland laut Deutsch reden. Man, hat die sich gefreut als sie – genau wie meine Gastmutter – mir die Kürbiskerne, die ich ja auch so erkannt habe, mit HALLOWEEN HALLOWEEN erklären konnte. Und sie konnte „Angela Merkel“ sagen. Wow. Dann wollte sie auch noch wissen, ob iPhone oder Samsung und hat sogar noch ein paar Freunde angerufen, um diese zu fragen, ob sie ein iPhone oder ein Samsung-Telefon haben. Samsung scheint die richtige Antwort gewesen zu sein. Diese Frau hat mich fertig gemacht. Das Essen war leider nicht ganz so gut, schade. Dafür kamen im Fernsehen The Voice, Supertalent und Wer wird Millionär auf Russisch (da bekommt man 3 Millionen Rubel). Tadschikisches Fernsehen kenne ich noch gar nicht, weil hier ja alle eher Russland-orientiert sind.

Sonntag haben wir dann so lange geschlafen, wie man eben schlafen kann, wenn man jeden Tag um halb sieben aufsteht und sind mittags in die Stadt gegangen. Der Weg zu Fuß war sehr schön und letztendlich waren wir dann in der Altstadt, wo es Panschanbe, den großen Basar gibt. Genauso viele Bettlerinnen wie in Halle, die bestimmt alle auf Tadschikisch „Hallo bitte“ gesagt haben und ganz viele Tauben, die von Kindern gefüttert wurden. Die Moschee dort haben wir von außen besichtigt, den Markt von innen. Und es hat so gut gerochen! Und es gibt dort alles! Alles, alles, alles. Und das besonders günstig. Also Adidasschuhe oder Markenuhren für 30 Somoni und DVDs für 3. Wechselkurs eins zu zehn. Also alles entweder halb legal oder billig aus China importiert. Zum Thema Kinderarbeit fällt mir da ein, dass eine Schülerin von mir in den Sommerferien in einer Näherei arbeitet, um sich das Schulgeld zu verdienen, weil ihr die Bildung eben so wichtig ist und sie Deutsch lernen möchte, um ein Mal in Deutschland zu studieren.

Wir waren außerdem noch in dem Sportladen, der hier einen ähnlichen Stellenwert hat, wie in Amerika Hollister, oder in Deutschland ein Nike-Store für Reiche hätte. „li-ning“ ist eine chinesische Marke und echt teuer! Aber es ist irgendwie der einzige Laden, der viele Sportsachen anbietet.

Montag war das Wochenende dann auch schon wieder vorbei und mir war klar, dass zwei Tage Wochenende (oder die studentischen drei Tage) echt cool sind. Es ging dann wie gewohnt chaotisch weiter und ich kann gar nicht mehr, sagen, was ich an welchem Tag gemacht habe. Irgendwelche Übersetzungen von Baumaterialien habe ich für die Direktorin durchgeguckt, Aufsätze gelesen, Tests kontrolliert, unterrichtet, meine Lieblingsbücher vorgestellt, mir eine Visitationsstunde in der vierten Klasse angeguckt (wo alle zugucken dürfen, es war mega weird), Schülerinnen und Schülern bei Aufsätzen für einen Wettbewerb geholfen, meine drei Leute für die Deutscholympiade unterrichtet und jeden Tag ohne Lebensmittelvergiftung in der Mensa gespeist. Am Montag war das Wetter sehr gut (fast 20°C! ) und ich bin mit der anderen deutschen Deutschlehrerin noch Tee trinken gegangen. Danach bin ich dann mit einer deutschen Freiwilligen noch ein Mal Tee trinken gegangen, was total nett war. Sie hat mir auch noch eine verlassene Moschee gezeigt mit eingefallenen Decken und Bäumen, die sich schon ihren Weg durch das Gemäuer gesucht haben. Sowas mag ich ja! Und weil sie aus Dresden kommt, hat sie das Wort „losmachen“ benutzt. Das mochte ich auch. („Sollen wir los machen? = Wollen wir jetzt gehen?)

Abends war ich dann wieder komplett KO, hatte ein bisschen Sonnenbrand und Babuschkas gutes Essen hat mir dann den Rest gegeben und ich bin früh schlafen gegangen. Dienstag war dann wieder Sport und ich habe weniger Muskelkater davongetragen als letzte Woche. Anschließend waren wir bei „Taj-Burger“, also quasi McDonalds, nur dass es die ganzen Fastfoodketten hier nicht gibt. Und wie ich so drüber nachdenke, gibt es keinerlei Ketten der Weltunternehmen hier. Es gibt ein paar Läden mit schlecht kopierten Logos wie „Zara City“, „NewYork“ und „Mikki“ (=Disney), aber auch kein Subway, H&M oder halt Adidas. Bei Taj-Burger lief Musik von Sarah Connor und von den Scorpions und Lena war begeistert von der kyrillischen Version der englischen Wörter auf dem Menü. Ich freu mich wirklich immer, wenn ich Wörter lesen kann. Aber umso mehr freue ich mich, wenn ich sie auch verstehe! Wenn ich anderen Leuten zuhöre, kann ich mittlerweile schon einiges verstehen, aber selber sprechen ist nicht drin. Vollgefressen mit Fastfood (hier auch „ungesundes Essen“ genannt) falle ich wie ein dicker Buddha in mein Bett. Mittwochs entdecke ich einen englischsprachigen Fernsehsender, penne aber vor Erschöpfung ein. Donnerstag gehe ich dann alleine zur Schule, weil Madina „krank“ ist, also für ihren Geburtstag am Samstag shoppen geht. Aber mein Tag alleine in Khudjand hat einen eigenen Eintrag verdient.

Also bis dahin, ich esse jetzt noch ein bisschen Sumalak und chille mit Chupa auf der Couch.

 

Lena

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Do

02

Mär

2017

Fotos, nächster Versuch

Sonnenuntergang über dem Fluss
Sonnenuntergang über dem Fluss
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Do

02

Mär

2017

Was ich bis jetzt gelernt habe:

-        Nach dem Essen streift man sich die Hände übers Gesicht und sagt manchmal „Allahu Akbar“

-        Marschrutkafahren ist gar nicht so schwer. Eine Fahrt kostet einen Somoni, die meisten Plätze kenne ich jetzt beim Namen und dort kann ich umsteigen. Wenn ich raus möchte, sage ich Dorid (tadschikisch für Stopp).

-        Man putzt sich zwar vor anderen die Nase, aber schnaubt nicht.

-        Wenn ich „weiter, weiter, weiter“ beim Volleyball rufe, klingt das wie „Dawei, dawei, dawei“, was auf Russisch in etwa das selbe bedeutet.

-        Und wenn ich beim Volleyball „Ja“ rufe, wenn ich den Ball annehme, ist das gleichzeitig Russisch für „Ich“.

-        Jedes Restaurant hat ein Waschbecken im Eingangsbereich und man trocknet sich die Hände mit kleinen Handtüchern ab.

-        Wie ich meine Freizeit ohne YouTube und Netflix verbringe.

-        Man grüßt den ganzen Tag jeden in der Schule.

-        Hier ist angeblich jedes Essen Bio, weil es sowieso aus der Nähe kommt.

-        Man sollte auf dem Basar keine Nüsse und Trockenfrüchte kaufen, denn da sitzen die Tauben drauf und probieren auch.

-        Hygiene wird klein geschrieben.

-        Klopapier und Servietten aus der Schule könnte man in Deutschland auch zum Schreiben benutzen, denn es ist richtiges Papier.

-        Man hat auch nach 10 Tagen Nicht-im-Auto-Anschnallen noch einen Anschnallreflex, nachdem man sich hinsetzt.

-        Kyrillisch! Das m ist ein t. Und auch englische Wörter werden transliteriert. Da freue ich mich immer, wenn ich etwas lese und dann auch verstehe. Beispielsweise Cheeseburger, Brownie, Peter Pan, George & James (Dschordsch und Dschejms)

-        Man kann zu Essen nicht nein sagen. Wahrscheinlich isst man letztendlich weniger, wenn man von Anfang an immer ja sagt.

-        Meistens hat nicht der Vater das Sagen, sondern Babuschka.

-        So ganz 9GAG-Russland-like gibt es auch hier Männer, die in Adidas-Hosen und Adiletten in der Gegend hocken.

-        Man stellt seine Tasche immer auf den Tisch, weil die Böden hier sehr schmutzig sind.

-        In der Schule herrscht Handyverbot und wenn der Hausmeister reinkommt und kontrolliert, müssen alle aufstehen und sich durchsuchen lassen.

-        Deutsch ist eine schwere Sprache, aber ab einem gewissen Punkt kann man in der Schule nichts mehr dazulernen.

-        Diese Schule macht bei so vielen Wettbewerben und Olympiaden mit! Diese Lehrerinnen sind so motiviert und engagiert!

-        Alleine mit null Minuten Vorbereitung unterrichten und irgendwie anhand des Lehrbuches improvisieren.

-        Jede Schule heißt Gymnasium.

-        Russische Frauennamen funktionieren meistens nach folgendem Muster: (Konsonant) Vokal Konsonant Vokal Konsonant A.

-        Während einer Autofahrt pro Minute mindestens ein Mal hupen.

-        Tadschikistan ist das Land der Torten!

 

-        Wenn man patriotisch ist, sagt man Todschikiston.

Was ich noch nicht gelernt habe:

-        Wann grüße ich jemanden auf Tadschikisch und wann auf Russisch?

-        Was tue ich, wenn in der Schule mal wieder das Chaos ausbricht, alle auf Tadschikisch durcheinander reden und in der Fünf-Minuten-Pause eine Lehrerkonferenz einberufen wird?

-        Russisch und Tadschikisch

-        Die Namen der Schülerinnen und Schüler (Dschahongir, Schachnoza und Co.)

-        So spontan sein wie alle Einheimischen

-        Was ich noch nicht realisiert habe: Dass ich hier bin.

Bis bald,

 

Lena

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So

26

Feb

2017

Fotos?

Panschanbe (der Basar)
Panschanbe (der Basar)
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Fr

24

Feb

2017

Nach einer Woche

Eine Woche bin ich jetzt schon unterwegs. Unglaublich, wo ist die Zeit geblieben? Morgen früh bin ich dann sieben Tage hier.

Noch ist alles neu für mich und ich muss mich erst einfinden und an Sachen gewöhnen oder sie überhaupt erst verstehen. Natürlich auch die Sprache, aber auch einfach, wie man Dinge macht, wie hier unterrichtet wird, was meine Aufgabe an der Schule ist und auch, wie ich mich in der Öffentlichkeit verhalte.

Aber was ist in dieser Woche alles passiert? Die Schulwoche ist übrigens noch nicht vorbei, samstags ist auch Schule. Und das nicht nur einen halben Tag, sondern ganz normal von 8:30 bis 15 Uhr.

Mittwoch war ich in der Schule und habe zwei Stunden hospitiert. Morgens begrüßen immer alle alle im Vorbeigehen und alle Kinder kommen mit „Guten Morgen“ zu mir, und tagsüber dann „Guten Tag, wie geht es Ihnen?“ und die kleinen sagen was auf Russisch, geben sich dann aber große Mühe, etwas auf Deutsch zu formulieren.

Dann kam Madina und meinte, ich solle mit zum Sportwettbewerb fahren. Ich muss mich dann immer fügen, wenn irgendwas auf Russische und Tadschikisch beschlossen wird. Ich hab keinen Plan, was überhaupt passiert und lasse mich überraschen. Also treffen wir uns um 10 am Schultor und fahren mit der Marschrutka (es gibt übrigens nicht nur eine mit „Der Glaser kommt“) zum Stadion. Es kommen so ungefähr 20 Schüler mit, und der lustige Sportlehrer, der denkt, ich heiße Helen – gesprochen mit einem russischen H. Dort angekommen, laufen wir eine Runde, um uns warm zu machen. Ich hab aber keine Sportschuhe mit, weil ich von nichts wusste und hab auch nur meinen Mantel an. Ich laufe eine Runde, aber beim Sprinten mach ich nicht mit. Das war mir dann doch zu risky und unnötig. Ich schaue also zu, während viel auf Russisch diskutiert wird. Die Mädels trauen sich irgendwie nicht, mit mir zu reden, die Jungs dafür umso mehr. Die ganze Veranstaltung dauert etwa 2,5 Stunden und wir fahren zurück. Madina und ich steigen aber schon am Museum aus, weil das jeden Tag schon um 16 Uhr schließt. Ich bin etwas verwirrt, weil ich nicht weiß, ob die Lehrerinnen davon wissen, aber mir wird versichert, dass alles gut ist. Ich bin so deutsch und denke, dass ich die ganze Zeit anwesend sein muss und die Zeit in der Schule möglichst effektiv nutzen sollte. Ich muss das verlernen.

Wir gehen also ins Museum. Beim Ticketkauf allerdings zeigt die nette Dame uns einen Zettel, dass das Museum nicht für Touristen ist. Ich wusste, dass Touristen gerne mehr Geld abgezogen wird, weil ja alle Touristen reich sind. Aber dass sie nicht rein dürfen, scheint mir schon sehr seltsam. Wozu sind Museen denn da? Dafür, dass die gesamte Khudjandbevölkerung ständig ihr eigenes Museum (übrigens historisches Museum der Sugh-Region) besucht? Und die paar Touristen aus dem restlichen Tadschikistan? Ich versteh es einfach nicht. Aber eine Freundin von Babuschka arbeitet dort, und die Lehrerinnen sagen auch, dass sich das Problem lösen lässt. Hoffe ich also, dass ich das irgendwann dann doch noch besuchen darf. Zur Not spiele ich die taubstumme Tadschikin.

Nach dem Verzehr von leckerem fettig frittiertem Straßenessen und einem Besuch im Supermarkt, der für mich auch wie ein Museum ist (es gibt aber das gleiche wie bei uns, trotzdem faszinierend), gehen wir nach Hause, wo ich ein bisschen Russisch lerne und chille oder schlafe, weil ich echt immer fertig bin. Außerdem ist der Strom ausgefallen und es ist ganz leise in der Wohnung, weil der Fernseher nicht läuft. Babuschka war ganz aufgeregt. Wie soll sie denn so Essen machen? Und Tee kochen? Sie wäre aber nicht Babuschka, wenn sie dafür nicht zur Nachbarin gegangen wäre.

Am Donnerstag ist Männertag, ein russischer Feiertag, der aber in Tadschikistan eher ein Nationalfeiertag für die Soldaten ist. Ich habe Anfang der Woche schon mitbekommen, dass die Mädchen am Mittwoch länger in der Schule bleiben wollten, um zu schmücken und Geschenke vorzubereiten. Dass es aber so eine fette, fette Party werden würde, hätte ich nicht gedacht. Morgens gehen die Lehrer eine halbe Stunde in ihre Klassen und um 9 stellen wir uns alle um das Volleyballfeld auf. Es folgen Nationalhymne, diverse Ansprachen, ein nicht ganz so ernst genommener Marsch der kichernden 10 a oder b, also der Militärklasse, die Ehrungen der besten Schüler, ein Lied der Grundschule und viel Musik. Nach etwa einer Stunde in der Kälte stehen, dürfen wir wieder rein gehen. Ich gehe zurück ins Klassenzimmer, wo gerade das Thema Oktoberfest behandelt wurde. Ich muss da mal hin, damit ich im Ausland endlich erzählen kann, dass ich da mal war. Die Kinder zeigen mir Lebkuchenherzen aus Papier und die Mädchen erzählen mir von irgendwelchen hübschen spanischen, französischen und koreanischen Sängern und ich bekomme diverse Handys mit Bildern vor die Augen gehalten. Ein Mädchen schenkt mir einen Haarreifen und es werden noch ein paar Selfies gemacht, während die Jungs mit Zeitung und Klebeband den Raum abdunkeln, um eine Disko zu machen. Die beste Disko gab es aber nicht in dieser Siebten, sondern in der Zehnten. Der ganze Raum war dunkel, es gab sogar diese bunten Diskolichter, ganz viel Deko, Musikboxen mit Laptop, Torte und bei diesem Anblick entscheiden sich auch alle Lehrer gegen Unterricht. Stattdessen wird im Deutschlehrerzimmer Gyros/Döner bestellt. Irgendwann gehe ich noch ein bisschen Volleyball spielen und hospitiere noch in einer Klasse. Das ist aber immer ein bisschen langweilig. Ich muss mir noch was richtiges Überlegen, damit ich wirklich eine Aufgabe habe. Auf dem Nachhauseweg signalisiert mir der Sportlehrer noch, dass ich morgen auf jeden Fall Sportsachen mitbringen muss: „Helen, Helen, saftra Volleyball Volleyball clothes clothes“. Ok boy.

Nach einem kurzen Besuch bei Babuschka gehe ich wieder mit Madina zum Leichtathletik. Es ist wieder sehr anstrengend, aber macht total Spaß. Alle sprechen Tadschikisch und da versteh ich außer ein paar zusammenhangsloser Wörter nichts. Ich kann mittlerweile aber schon Hallo, Tschüß, Danke, Stopp sagen. Und ein paar Wörter, die im Türkischen identisch sind. Nach dem Training gehen wir dann mit drei von Madinas Trainingsfreunden in „den Saal“, also das Fitnessstudio. Das gehört wohl dem Trainer. Der Weg ist weit und führt über einen Fliesenmarkt, einen verlassenen Basar und durch mehrere Häuser in einen kalten Kellerraum, der mit schönen Teppichen ausgelegt ist und auf zwei Mal 20 Quadratmetern ein paar Hanteln, Gewichte, Stangen und Plakate hat. Der Trainer zeigt uns ein paar Sachen und wir stemmen fleißig die Gewichte. Bei dem ganzen Essen ist Sport aber auch echt wichtig, puh.

Anschließend geht’s wieder nach Hause, was nicht weit entfernt ist und nach dem Essen gehe ich auch recht zeitig ins Bett.

Heute Morgen bin ich mit wenig Muskelkater aufgestanden und habe mich gefragt, was ich denn heute wohl im Praktikum mache oder auch nicht mache. Volleyball werde ich wohl spielen, aber was ich im Unterricht mache, oder ob ich da überhaupt hingehen soll, keine Ahnung.

Das Problem löst sich aber irgendwie von selbst, als ich in der ersten und zweiten Stunde in einer sechsten Klasse hospitiere, ein Fragenspiel anleite und nach der Pause mit ihnen Galgenraten spiele, sie zu Haustieren und allem möglichen befrage und wir letzten Endes Yoga machen. Sie wollen mich einladen, am Montag zu ihrer Präsentation „Bücher in meinem Leben“ zu kommen. Dafür muss ich auch noch etwas vorbereiten! In der dritten und vierten Stunde kommen die beiden Schüler zu mir, die an der Deutscholympiade teilnehmen werden und wir üben mündliche Kommunikation. Sie sind echt klug und haben viel zu sagen, bei der „Blinden Bildbeschreibung“ hapert es dann aber. Sie sollen jeweils ein Bild malen und es uns dann beschreiben, ohne dass wir es sehen. Die Ergebnisse waren aber ganz lustig. Und die beiden sind echt motiviert, was total schön (und mir neu) ist. Die hören gar nicht mehr auf zu reden! Ich muss wieder an den Spanischunterricht denken, in dem wir nie wirklich gesprochen haben und weine (fast). Die beiden Süßen bedanken sich tausendfach und schon klopft der Sportlehrer an der Tür und holt Helen ab. Ich sage, dass ich eigentlich Essen möchte und er schenkt mir ein Bonbon und eine getrocknete Aprikose aus seiner Jackentasche. Na lecker, haha. Ich esse dann aber erst nach dem Volleyballspiel. Dieses Mal spielen wir richtig und alle sind motiviert. Ich bin in der Mannschaft mit nur Lehrern (keine Lehrerinnen) und wir spielen gegen die Schüler (keine Schülerinnen). Der Rest der Schüler guckt zu. Ich weiß nicht, ob das jemals passiert ist, dass da eine Frau mitgespielt hat. Das Spiel ist laut und es wird recht viel diskutiert. Sport ist aber echt kulturübergreifend ne. Die Regeln sind klar und es gibt Handzeichen für alles andere. Und so ein bisschen Russisch verstehe ich ja auch schon. Zur Not muss mir jemand übersetzen. Und oft wird auch Tadschikisch geredet.

Anschließend gehe ich essen, wo mich die Mensafrau gleich erkennt und mich Lenitschka nennt. So süß. Ich bekomme Essen und esse. Danach gehe ich wieder ins Lehrerzimmer und beginne einen Text zu korrigieren, werde dann aber doch wieder zum Volleyball abgeholt und es werden zwei Spiele gespielt. Zum Glück hatte ich auch meine Sportsachen dabei. Mittlerweile ist schon die siebte Stunde und ich rede noch ein bisschen mit zwei anderen Lehrerinnen über mein Praktikum. Sie sagen, dass ich auch ruhig vom Schulgelände gehen kann, wenn mir langweilig ist und dass ich nur kommen muss, wenn ich möchte oder sie mir sagen, dass sie mich brauchen. Echt cool, aber ganz anders als in Deutschland. Da würde man so oft Aufgaben übernehmen, auf die man keine Lust hat und alle sind dann unglücklich, aber niemand spricht drüber. Muss ich mich definitiv noch dran gewöhnen. Nach der Schule fahre ich zur Bibliothek, die aber ausgerechnet freitags geschlossen ist. Also schlafe ich ein bisschen, lerne Russisch und gehe die Nachbarschaft erkunden. Da finde ich einen alten Freizeitpark und eine riesige Leninstatue. Außerdem diverse romantische Ansichten von süßen Kätzchen, die in Mülltonnen sitzen oder Teddybären, die in Pfützen schwimmen. Fotos werden irgendwann folgen, ich versprechs.

Babuschka hatte echt Angst, dass ich verloren gehe, aber ich bin ja wieder hier. Es gab noch Essen und Tee und jetzt muss ich gleich mal ins Bett. Den Kindern sind heute schon meine Augenringe aufgefallen. Wie schön.

Ich merke gerade, dass ich mir schon dieses arabische Zungenschnalzen angewöhnt habe, dass man statt ähm sagen macht (oder anstatt sich verbal über langsames Internet aufzuregen). Witzig.

Xaj (Tadschikisch für Tschüss, hört sich an wie engl. Hi)

 

Lena

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Di

21

Feb

2017

Das Praktikum beginnt

Und es kam der erste Praktikumstag. Ich wusste so gar nicht, was ich zu erwarten hatte und war trotzdem nervös. Dabei konnte ich gar nicht genau sagen, vor was ich Angst hatte. Ich habe mich natürlich gefreut, dass ich alle Leute kennenlernen werde, aber ich wusste ja überhaupt gar nicht, wie es in der Schule aussieht und wie die Leute so sind. Also musste ich alles auf mich zukommen lassen. Das ist für Deutsche, die gerne alles planen, gar nicht so einfach.

Der Tag beginnt mit dem Aufstehen um halb sieben, dann gibt es Frühstück, Babuschka schmiert uns Brot für die Schule und legt noch ein paar Süßigkeiten dazu und um viertel vor acht (dreiviertel acht) gehen wir zum Auto. Da es über Nacht gefroren hat, müssen die Fenster noch freigekratzt werden. Dass das so lange dauert, wusste ich nicht und ich sitze ziemlich lange im Auto, während Madina und die Mama mit einem Lappen das Eis wegmachen. War ein bisschen blöd, währenddessen tatenlos im Auto zu sitzen, aber da war es schon zu spät, wieder auszusteigen. Wir fahren nur ein Stückchen mit der Mama mit, die danach zur Arbeit fährt. Sie lässt uns an der Straße raus und wir warten auf die gelbe Schul-Marschrutka (Eine andere Marschrutka mit der Aufschrift „Der Glaser kommt.“ fährt vorbei – Wer googeln möchte, woher das Auto ursprünglich kommt, bitte). Es ist eng wie immer und ich treffe schon die erste Lehrerin. Und eine andere Lehrerin treffe ich auch, aber nur mit meinem Rucksack in ihrem Gesicht. Das war nicht so angenehm, vor allem weil ich mich gar nicht richtig auf Russisch oder Tadschikisch entschuldigen konnte. Toller erster Eindruck.

Von der Haltestelle bis zur Schule geht es über eine kleine matschige Straße und dann sind wir auch schon auf dem Schulhof. Es gibt vorne ein großes Tor, in der Mitte ist der Hof mit einem Garten, links ist ein langes Gebäude, in dem die Grundschule und die Mensa sind und rechts ist das Gymnasium. Bilder kommen wohl erst im April.

Madina will mich der Direktorin vorstellen, aber die ist noch nicht da. Wir gehen also ins Deutschkabinett, das Lehrerzimmer der Deutschlehrerinnen. Da treffe ich noch mehr Lehrerinnen, die mich alle ganz freundlich empfangen und mir auch gleich einen Stundenplan diktieren. Ich bin von Montag bis Samstag in fast allen sieben Stunden eingesetzt und begleite jeweils eine Deutschlehrerin in ihrem Unterricht. Das Ziel wird aber sein, dass ich 4 Schülerinnen und Schüler auf einen Wettbewerb in der Hauptstadt Duschanbe vorbereite, in der Disziplin mündliche Kommunikation. Die Schüler sind noch nicht ein Mal ausgewählt, also wird das noch Zeit haben. Der Wettbewerb ist dazu noch eine Woche nach meiner Abreise, aber wir werden sehen.

In der ersten Stunde gehe ich mit Zarina in die achte Klasse und stelle mich vor. Die Schule ist eine Privatschule und eine der besten Schulen des Landes. In den beiden achten Klassen sind jeweils maximal 10 Schülerinnen und Schüler. Im Gegensatz zur 8N, in die ich damals mit über 30 anderen Leuten ging, ist diese Klasse sehr aufgeschlossen, alle melden sich und wollen etwas beitragen, sprechen viel und gut Deutsch und haben zwar Respekt, aber keine Angst vor den Lehrern und auch keine Angst, vor der Klasse zu sprechen. Die Lehrer tun zwar streng, aber lachen auch viel und das Schüler-Lehrer-Verhältnis ist sehr entspannt. Manche Schüler werden beim Spitznamen genannt – man hängt auf Tadschikisch ein –jon an den Namen, das bedeutet –chen oder –lein. Zarina spricht auch nur Deutsch mit ihnen und sie tragen ihre Hausaufgaben vor und diskutieren laut über die richtige Überschriftenzuordnung im Buch. Ich erinnere mich an meinen Spanischlehrer, der selten Spanisch sprach und lieber auf Deutsch über DSDS, Popstars, GNTM und Co. plauderte und schüttele innerlich mit dem Kopf. Bevor ich in der zweiten Stunde eine andere achte Klasse besuche, stelle ich mich mit den anderen Lehrerinnen ans Fenster, weil dort die warme Sonne hinein scheint. Es gibt auch eine Schulklingel, die die 45-minütigen Einheiten einläutet und beendet und niemand weiß so wirklich, wann welche Stunde anfängt. Ich denke, die Klingel ist nur ein grober Hinweis, dass man vielleicht in Betracht ziehen sollte, das Klassenzimmer zu wechseln, aber man lässt sich immer viel Zeit. Ich stehe also mit den anderen am Fenster, wo es warm ist. Im Deutschkabinett gibt es eine Heizung, die selten funktioniert. In den anderen Räumen gibt es nicht mal eine Heizung und es ist dementsprechend kalt. Alle Leute haben über ihren Uniformen Jacken an und manche haben auch Mützen auf. Das klingt jetzt wie in der dritten Welt, voll dramatisch, aber ist es nicht genauso traurig, Leuten in Südeuropa zu erzählen, dass es in Norddeutschland immer regnet? Es gibt kein falsches Wetter, nur falsche Klamotten! Zurück zum Fenster. Eine Tadschikisch-/Geschichtslehrerin kommt und erzählt mir gaaaanz viel auf Tadschikisch. Man übersetzt mir, dass sie mein Aussehen sehr arisch findet. Das sei ja unsere Gemeinsamkeit mit den Tadschiken, die dann aber noch mit den Mongolen gemischt wurden und deshalb andere Augen haben. Ähm ja. Von dieser Theorie berichtet mir auch Tim, der FSJler, der am nächsten Tag abreisen wird. Vor 1933 war das vielleicht noch eine (zumindest politisch) korrekte Aussage, in Deutschland sollte man das aber in diesem Vokabular niemandem mehr erzählen. Tim zeigt mir die Schule und erzählt viel über Land und Leute und die Schule und ihre Projekte. Er fragt auch nach meiner Registrierung und erzählt, dass er noch sämtliche Dokumente einreichen musste, damit die genehmigt wird. Unter anderem ein Beweis, dass er kein AIDS hat. Der „Beweis“ ist aber die Zahlung von 27 Somoni (2,70€). Nachmittags erfahre ich, dass mit meiner Registrierung alles gut war, meine Gastfamilie scheint wohl genug Einfluss zu haben. Ich heiße jetzt übrigens Toraff Lena, so steht es auf dem Zettel.

Anschließend gehe ich mich bei der Direktorin vorstellen, die ein richtig russisches Büro hat und auch nur russisch spricht. Da stehe ich also vor einer strengen Pelzmützenträgerin, gucke sie an und verstehe kein Wort von dem, was sie sagt. Umeda, eine andere Lehrerin übersetzt für mich und ich glaube, die Direktorin mag mich nicht. Mit der werde ich sowieso nicht viel zu tun haben. Ich gehe mit Umeda etwas essen und es gibt eine Suppe mit Brot in der Mensa. Die Küche sieht sehr provisorisch und gewöhnungsbedürftig aus und alle sprechen dort tadschikisch, sind aber sehr lustig. Die Toiletten auf dem Hof sind ebenso interessant (Löcher im Boden) und es gibt nicht mal Seife am Waschbecken. Ich stehe also zwischen den Polen „den ganzen Tag Tee trinken“ und „die Toilette vermeiden“. Mal sehen, wie ich mich entscheide, aber von 8-15:30 Uhr nicht zu Hause zu sein, ist schon lange. Das Essen schmeckt auf jeden Fall ganz gut.

Nach dem Essen stelle ich mich der stellvertretenden Schulleiterin vor, die ähnlich eigenartig ist und wie alle anderen sagt, dass ich sehr jung aussehe. Natürlich auf Russisch, mir musste wieder übersetzt werden. Ich stelle mich noch in sämtlichen anderen Klassen vor. Es gibt pro Stufe meistens zwei Klassen, in der Abschlussklasse 11 wurden alle zusammen gelegt, aber die sind sowieso schon mit den Prüfungen durch und haben keine Lust mehr auf Schule. Die Schüler wollen alle wissen, was ich werden möchte, also denke ich mir irgendwas aus und erzähle, dass ich mal ein Buch schreiben möchte, haha. Stimmt ja auch, aber das ist ja kein Job für immer. Hier wollen (oder sollen) alle Medizin, Informatik oder Architektur (in Deutschland) studieren und streben somit beständige, gut bezahlte Jobs an, was in Tadschikistan wichtig ist und ein hohes Ansehen hat. Und dann kommt die Deutsche, die irgendeine Geisteswissenschaft studiert und sich nicht so viele Sorgen um eine gut bezahlte Arbeit macht. Wir sind so privilegiert.

In der letzten Stunde stehe ich vor der Militärklasse 10. Jede Schule muss wohl eine Militärklasse haben. Im Klassenzimmer hängen Plakate mit Waffen drauf und sonstigen patriotischen Dingen. Alle haben Uniformen an und alle sind pubertäre Jungs. Da um 15 Uhr alle fluchtartig das Gebäude verlassen, um den Schulbus zu erwischen, verlässt die Lehrerin schon vorher den Raum um ihre Jacke zu holen und ich kontrolliere die Übersetzungen der Schüler. Sie geben sich Mühe und machen soweit ich weiß alles richtig. Die deutschen Sätze sind zumindest grammatikalisch korrekt. Den russischen Ausgangssatz verstehe ich ja nicht.

Um 15 Uhr verlasse ich auch fluchtartig das Gebäude und wir holen in der Musikschule Madinas zweite Gitarre ab, weil bei der anderen gestern eine Saite gerissen war. Danach fahren wir nach Hause, ich esse schnell mein Schulbrot. Babuschka findet das gar nicht lustig, dass ich das in der Schule nicht gegessen hatte. Und anschließend gehen wir zum Stadion, wo Madina Leichtathletik trainiert. In der Schule hatte sie heute einen Vortrag darüber gehalten, dass sie gerne Profisportlerin werden möchte, man in Tadschikistan jedoch kaum Möglichkeiten dazu hat. Und das stimmt. Sie bewundern meine „Elastik“-Hose, die ja auch nur von LIDL ist und 10€ gekostet hat. Meine Nike-Schuhe sind mir schon fast peinlich. Andere laufen hier mit Ballerinas. Aber sowas gibt es hier alles nicht. Noch nicht mal zu kaufen. Dafür fahren sie in die Hauptstadt, wo alles aber sehr teuer ist oder nach Russland, aber da muss man auch erst mal hinkommen. Es gibt keine Umkleideräume und auch keine Sporthalle. Da die Sonne scheint, machen wir aber draußen Training. Die Laufbahn ist aber sehr alt und wölbt sich. Es gibt einen Trainer, der individuell Anweisungen gibt, aber da Madina fünf Mal pro Woche hier ist, weiß sie selber Bescheid. Es sind erstaunlich viele Leute auf dem Platz. Kinners, in Deutschland haben wir all diese Möglichkeiten und Materialien, aber es machen so wenige Leute ernsthaft Sport! Die Leute sind wirklich gut hier und total motiviert und ich bin echt erledigt nach dem Training. Am Ende zeige ich ihnen noch ein paar Yoga-Übungen und Madina übersetzt auf Tadschikisch. Sprachwissenschaftlich übrigens sehr interessant, in welchem Kontext hier wer welche Sprache spricht. In der Schule mit den Freunden Russisch, im Stadion Tadschikisch. Und dank Türkisch verstehe ich wenige Wörter. Wir ziehen uns wieder auf irgendeinem Zwischenflur bei den Boxern um und die Mama holt uns ab. Zu Hause gibt es Borschtsch und ich versuche halbtot ins Bett zu fallen, brauche aber wieder viel zu lange, um einzuschlafen und bin am nächsten Praktikumstag entsprechend müde.

Der zweite Morgen läuft ähnlich ab. Ich bin als erste im Büro und lese mir ein paar Methoden durch, damit ich vielleicht mal spontan etwas aus dem Ärmel schütteln kann. Ich besuche zwei neunte Klassen und dann machen wir die Auswahlgespräche für den Wettbewerb in Duschanbe. Die 3 Schülerinnen und 2 Schüler (alle mit Namen, die ich nicht verstanden hab) sollen nach einer Stunde Vorbereitung über das Thema „Bücher in meinem Leben“ sprechen. Danach gehen wir Essen und es  gibt Nudeln. Ich sitze noch ein bisschen mit einer anderen Deutschlehrerin in der Mensa. Sie hat heute Fisch mitgebracht, den wir zu den Mensanudeln essen. Sie ist Deutsche und kommt aus der Nähe von Hamburg, ein bisschen Heimat! Obwohl sie schon seit fünf Jahren hier ist, versteht sie nicht viel Russisch, geht aber total witzig damit um. „Man merkt, dass alles irgendwie läuft, aber man weiß nie wie.“ Anschließend versuchen wir, die auszuwählen, die nach Duschanbe fahren dürfen. Aber bevor die Entscheidung fällt, muss man erst wissen, ob die Eltern die Reise überhaupt erlauben. Heute Nacht gab es wieder Lawinen auf dem Weg nach Duschanbe und eine Autofahrt ist zu gefährlich. Und Fliegen ist teuer. Und manche Eltern wollen ihre Kinder aus Prinzip nicht zu dem Wettbewerb schicken. Das ist übrigens ein internationaler Deutschwettbewerb, in dem jedes Land Leute schickt, die dann in Berlin gegeneinander „antreten“. Meistens gewinnen aber die Kinder aus Deutschlands Nachbarländern, die ein deutsches Elternteil haben und sowieso fließend sprechen (oder „einen deutschen Elternteil“? Irgendwann fängt man so an zu denken und zu sprechen, wie hier die Deutschlehrerinnen und die Kinder sprechen). Aber die Reise nach Deutschland ist natürlich auch ein großer Erfolg.

Ich werde der wohl lautesten Klasse (7.) der Schule vorgestellt. Ein Mädchen singt für mich und ein Junge spielt Geige. Richtig gut.

Dann habe ich eine Stunde Pause und spiele auf dem Hof mit der neunten Klasse Volleyball. Der Sportunterricht besteht hier nur aus Volleyball, weil die Sporthalle noch nicht fertig gebaut ist und es wohl auch erst in ein paar Jahren wird. Es gibt nur ein Volleyballfeld und einen Ball, und ein Spiel kommt leider nur dann zustande, wenn die Lehrer und ein paar der Jungs spielen, weil die Mädchen entweder weglaufen oder den Ball fangen. Ich spiele auf meiner Lieblingsposition und es macht total viel Spaß. Ich sollte man wieder richtig anfangen zu spielen! Die Aufgabe von oben sollte ich auch mal üben. Danach rede ich noch mit ein paar Schülerinnen und die eine zupft mir meine blonden Haare vom Mantel. Oh man, ich sollte den wohl echt mal enthaaren.

In der letzten Stunde bin ich in der anderen siebten Klasse und um 15 Uhr verlassen wir fluchtartig das Gebäude. Zu Hause esse ich mein nicht gegessenes Pausenbrot (shame on me again) und Madina geht zum Sport. Ich bin unglaublich müde und habe eh Muskelkater. Erst sitze ich noch mit Babuschka in der Küche und wir „reden“. Sie erzählt viel und ich verstehe ein bisschen. Wir beobachten die Katzen und Vögel draußen, und dann schlafe ich bis zum Abendessen. Es gibt Plov, ein traditionelles Gericht und es schmeckt mal wieder vorzüglich. Das ist Reis mit Kichererbsen und Schafsfleisch und anderem Gemüse und dazu isst man saure Gurken, Rettich und eingelegte Tomaten. Und man träufelt ein bisschen Zitronensaft drüber. Wirklich gut! Ich habe gehört, in Berlin gibt es ein tadschikisches Restaurant. Sonst eröffne ich in Halle ein privates und besorge mir schon mal die Rezepte. Und jetzt sitze ich hier wieder im Halbschlaf in meinem Zimmer und sollte gleich mal versuchen zu schlafen. Ich wache immer noch mitten in der Nacht auf und bin dann tagsüber echt fertig. Und das ganze Russisch/Tadschikisch/neue Leute und so weiter macht auch müde. Und das Frieren in der Schule auch.

Also kalte Grüße aus Khudjand,

Lena

 

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Mo

20

Feb

2017

Fortsetzung von Babuschkas kulinarischer Kunst

Wir saßen also zu dritt am Tisch und haben gegessen und mit dabei war ein altes Deutsch-Russisch/Russisch-Deutsch Wörterbuch. Das war unglaublich hilfreich und wir haben erst mal alle Familien- und Herkunftsverhältnisse (unter anderem anhand meines Fotobuchs, das ich zum 18. Geburtstag bekommen habe und das jedes Jahr meines Lebens auf einer Doppelseite darstellt) geklärt und ich habe gelernt, wie ich sage, dass ich satt bin. Und natürlich, dass es gut geschmeckt hat. Sie freuen sich immer so, wenn ich was auf Russisch sage. Ich habe auch schön von Mama gegrüßt und sie grüßen übrigens zurück!

Irgendwann kam Madina dazu und ich wollte noch ein Foto machen. Dafür musste Babuschka aber noch schnell ins Bad und sich einen anderen Pullover anziehen, die Süße. Wir haben also das Foto gemacht, das ich bei besserem Internet mal hochladen werde. Danach sind wir mit dem Auto, nun bei Tageslicht, aber immer noch ohne Sicherheitsgurt, ins Zentrum gefahren. Und wow, Leute! Man kann hier überall die schneebedeckten Berge sehen. Im Norden ziemlich nah und im Süden ziemlich weit weg, aber ganz schön hoch. Laut Wikipedia noch nicht der Hindukusch, aber dicht dran! Tadschikistan besteht übrigens zu 94% aus Gebirge.

Und es gibt viele schöne Gebäude und Statuen und Flaggen und Wappen und viele Lichter, Moscheen, die Universität ist riesig, der Sportkomplex ist riesig und es laufen überall Leute herum. Einfach so über die Straße oder am Straßenrand. Außerdem viele schwarze Fellmützen.

Am Museum steigen wir aus dem übrigens grünen Opel, um dann aber festzustellen, dass es samstags nur bis 16 Uhr geöffnet hat. Also laufen wir bei Nieselschnee durch den angrenzenden Park, in dem im Sommer dort bunte Blumen blühen, wo jetzt Kohl wächst. Das Museum ist eine alte Festung von Alexander von Mazedonien. Es gibt auch noch ein Mausoleum des Staatsgründers und man kann das Kästchen mit seiner Asche bewundern. Der ganze Park ist sehr liebevoll angelegt und Madina ist sehr erstaunt, dass ein „Park“ in Deutschland nur aus grüner Wiese besteht.

Am Rande des Flusses schauen wir noch ein paar Bronzeköpfe wichtiger tadschikischer Persönlichkeiten an, von denen ich aber leider keine kenne – shame on me. Langsam wird uns kalt und auf dem Rückweg zum Auto fragt die Mama mich, ob ich Hunger habe. Weil ich nein sage, gehen wir also Schaschlik essen. Den bestellt man auf der Straße bei einem Typen mit Kühltruhe und Grill und geht dann rein ins Restaurant, das in einem Zwischenflur Waschbecken zum Händewaschen hat. Im Restaurant läuft tadschikische und russische Musik, die Sitzbänke sind so wie booths in Amerika und werden durch japanische Stellwände abgetrennt. Einige Tische sind sogar zum Gang mit einer mobilen Stellwand verbaut, sodass man da drin wirklich seine Ruhe hat. Zum Schaschlik gibt es Brot und Zwiebeln und ein „Winigret“ aus Tomaten und Gurken. Es schmeckt unglaublich gut, ist aber auch schön fettig und haut ganz schön rein. Die Reste nehmen wir mit nach Hause, wo Babuschka schon wartet. Ich bin anschließend noch ein bisschen auf Facebook unterwegs, das bis dahin noch verfügbar war. Inzwischen ist es weg. Auf die Frage, ob es Facebook und Instagram in Tadschikistan gibt, haben bis jetzt ja alle mit nein geantwortet. Meine Schwester sagt ja und als ich fragend gucke, meint sie nur „mit Programm!“ zwinker zwinker. Da ist der Präsident voll stolz, dass er die bösen Ami-Seiten sperrt, aber letztendlich kümmert das keinen.

Später gibt es wieder Tee mit Brot und Marmelade und Süßigkeiten und „Kuschet, kuschet“. Ich hatte übrigens schon nach meiner Ankunft morgens geduscht und beim Fönen erstmal eine schöne Rauchentwicklung im Fön beobachten dürfen, upps. Der Gestank ist rausgelüftet und der Fön geht wieder. Trotzdem riecht es überall nach Osterfeuer, weil hier viele Leute mit Holz heizen. Ich stelle mir vor, dass es in der DDR auch so gerochen hat. Abends gucken wir noch Fernsehen, aber ich verstehe nur beim Teleshopping etwas, weil die selben billigen Produkte auch in Deutschland von genervten Moderatorinnen als überaus hochwertig und stark reduziert an wehrlose Kundinnen verscherbelt werden. Babuschka fährt voll auf Extrasense ab, eine russische Sendung mit Telepathie oder so. Außerdem gucken wir noch ein paar Fotoalben an und ich lese aus Kinderbüchern vor.

Und abends gehe ich schlafen. Ich war total müde, aber um 3 denkt mein Körper, mein Mittagsschlaf sei vorbei. Ich hatte mir halt in Deutschland einen super Schlafrythmus angewöhnt, der sich jetzt bei 4 Stunden Zeitunterschied umso mehr bemerkbar macht. Nach zwei Stunden schlafe ich dann ein, nur um gerädert um 9 von Madina geweckt zu werden. Weil Sonntag ist, gibt es Pfannkuchen (norddeutsche Pfannkuchen; für alle anderen Eierkuchen) zum Frühstück.

Der Papa kommt vorbei und tauscht meinen Reisepass gegen mein Handy ein. Gut, hätte man in Deutschland jetzt auch nicht so gemacht. Da gehört ganz schön viel Vertrauen dazu. Ich habe auch nicht zu 100% verstanden, was er damit vorhatte, aber es ging um Internet und eine SIM-Karte. Eine Stunde später hatte ich dann auch endlich eigenes Internet. Weil es kein WLAN gibt, war ich vorher nur mit dem Hotspot der Mama in Internet.

Um 11 sind wir zu einem 16. Geburtstag von einer Klassenkameradin eingeladen. Ich hab zugesagt und dann erst überlegt, wie gut die Idee war. Meine Schülerinnen, viel jünger als ich, sprechen nur Russisch und mittendrin halt ihre „alte Lehrerin“. So schlimm wars dann aber gar nicht. Wir wurden zur Bushaltestelle gebracht, wo sich alle Freundinnen getroffen haben und sind dann zu Fuß zu dem Haus gegangen. Und Haus ist wohl der falsche Ausdruck – ein Anwesen! So wie in Dubai die Häuser der ganz Reichen aussahen. Zum Haus gehört noch ein großer Hof und drinnen hängen Gemälde, vieles ist vergoldet, es gibt Kronleuchter, einen ultra Hightech Massagesessel, der sogar die Füße und Arme knetet (war super) und das Haus ist einfach enorm. Und die Tafel, an der wir gegessen haben, erst Recht. Ganz viele Glasschüsseln mit Essen und Süßkram, die wie Pokale auf dem langen Tisch unter dem Kronleuchter stehen. In den Vitrinen auch nur Glas und Porzellan und ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Und weil eh alle Russisch sprechen, sage ich auch nichts. Das Essen ist super. Zwischendurch werden bestimmt 2000 Selfies gemacht, jedes Lied aus der Playlist wird drei Mal angespielt und mehrere Filme, die offensichtlich von russischen Websites stammen und im Kino mitgefilmt wurden, werden bruchstückartig angeguckt. Man zeigt mir Bilder von einer Deutschlandreise und alle freuen sich. War halt doch ein 16. Geburtstag und mir war leider ein bisschen langweilig. Aber das Haus war krass!

Der Rückweg zur Bushalte führt wieder über matschige Schlaglöcher. An der Haltstelle fahren mehrere weiße Transporter mit teilweise deutscher oder litauischer Aufschrift vorbei und in Deutschland hat man Angst vor denen, vor allem wenn die in dem kleinen Waldstück auf dem Weg zur Schule stehen. Hier sind das aber Marschrutkas, also Kleinbusse, die tausendfach die ganze Zeit auf vielen Linien fahren. Man winkt sie zu sich, steigt ein. Ein Mann steht an der Schiebetür und ruft, ob noch jemand fahren möchte und im Losfahren macht er dann die Tür wieder zu. In so einer Marschrutka sind immer so zwischen 5 und 30 Leuten und jeder zahlt für eine Fahrt 1 Somoni (10 Cent). Wir fahren fast bis nach Hause und müssen nur noch ein Stückchen gehen.

Ich bin ziemlich müde und schlafe erstmal ein bisschen beim Fernsehen ein. Es gibt wieder Tee und Süßigkeiten und ich helfe Madina bei einem Deutschprojekt. Und dann holt sie ihre Gitarre und bringt mir ein bisschen was bei, yey. Wir reden noch ein bisschen und dann ist Nachtruhe.

Morgen folgt dann der Bericht zum ersten Praktikumstag.

 

Bis dahin,
Lena

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So

19

Feb

2017

Wenn Babuschka sagt, du hast Hunger, dann hast du Hunger

„Kuschet, Kuschet“, ist vielleicht das erste, was ich hier gelernt habe. Aber von vorn.

Ich habe im Flugzeug noch ein bisschen geschlafen. Wenn man beim Landeanflug aus dem Fenster geguckt hat, sah es ein bisschen aus wie Deutschland. Aber im Dunkeln mit den Lichtern sehen viele Städte gleich aus. Dann ist das Flugzeug gelandet und ich wusste gar nicht, wo ich hin muss. Natürlich ergibt sich das immer ein bisschen von selbst. Es gab ein großes Schild „Welcome Dear Guests“ auf der Landebahn und dann fuhr ein Bus zum Flughafengebäude. Ich saß dann auffällig europäisch mit meinem Wanderrucksack und einer Tasche im Bus und fiel allein schon dadurch auf, dass ich keine Nettotüte oder irgendetwas mit Klebeband Zusammengehaltenes als Handgepäck mitführte. Der Stauraum im Flugzeug ist halt immer perfekt für drei Koffer im Standardmaß gemacht, aber bei dieser Größen- und Formenvielfalt ging es trotzdem irgendwie und es ist niemandem etwas auf den Kopf gefallen. Am Flughafengebäude angekommen stürmen alle Leute sofort aus dem Bus und drängeln sich hinein zur „Boarder Control“. Eine Frau mit Baby wird vorgelassen und nach einiger Zeit falle ich wohl jemandem auf und plötzlich machen alle für mich frei und stupsen je ihren Vordermann (nicht Vorderfrau) an, damit sie zur Seite gehen. Der Beamte an der „Boarder Control“ freut sich über meinen nicht-tadschikischen Pass und ist sehr freundlich, Englisch kann er sogar auch. Ich muss dann irgendein Einreiseformular ausfüllen und habe keinen Plan, was die wissen wollen. Er hats so akzeptiert und ich hoffe, die lassen mich im April auch wieder ausreisen. Bis das Formular fertig ist, sind zwischenzeitlich schon alle anderen Menschen an der Gepäckausgabe und ich kann meinen zweirädrigen Koffer schon von weitem seine Runden drehen sehen. Unglaublich, dass er es hierher geschafft hat. Der Beamte sagt „welcome to our country“ und ich hole meinen Koffer. Der wird dann noch durchleuchtet und ich kann in die Flughafenhalle gehen. Da weiß ich nicht, ob rechts oder links. Jemand zeigt mir den Weg und ich sehe nur zwei Glastüren, hinter denen offensichtlich eine kleine Treppe ist. Das ergibt ein Bild von dutzenden tadschikischen Köpfen mit teilweiser Fellmützenbedeckung, die alle auf die schlecht beleuchtete Tür starren. Na Prost Mahlzeit, ich habe keine Ahnung, wie meine Gastfamilie aussieht. Ich öffne also die Tür, versuche meinen Koffer die Holzrampe runter zu fahren, aber überall stehen Leute und mein Koffer hat ja nur noch die Hälfte seiner Räder. Plötzlich kommt eine orangehaarige Frau und sagt „Lena?“, ich sag „ja!“ Ein Mädchen nimmt meinen Koffer und wir verlassen die Menschenmenge. Ich werde tausend Mal gefragt, ob ich ein Taxi brauche, aber offensichtlich habe ich ja schon eins. Madina, meine Gastschwester fängt an, mit mir zu reden. Sie und ihre Mama sind kleiner als ich und Madina spricht Deutsch. Wir gehen zum Auto – und jetzt fragt nicht, welche Marke, ich weiß sowas nicht – und buchsieren meinen Koffer in den Kofferraum. Ich setze mich auf die Rückbank und suche das Ding, wo ich meinen Anschnallgurt befestige. Überraschung. Es ist nicht existent. Wir fahren durchs dunkle Khudjand und ich bin überwältigt. Ey, ich bin jetzt in Tadschikistan. Wir reden ein bisschen auf Deutsch und die Mama auf Russisch, was mir aber übersetzt wird und sie zeigen mir im Dunkeln aus dem Auto heraus ein paar Sehenswürdigkeiten. Wenn man schlagartig den ganzen Schlaglöchern ausweicht, ist das auf der Rückbank ziemlich lustig. Es fahren aber alle recht vorsichtig, vielleicht weil sie das wissen. Was mir noch auffällt, sind zahlreiche Bahnübergänge, die wir in Schritttempo überqueren. Inzwischen ist es bestimmt sechs Uhr morgens und wir kommen an der Wohnung an. Hier stehen mehrere Riesenreihenhäuser wie Platten nebeneinander, die jeweils in bestimmt 12 Eingänge mit je 5 Stockwerken mit je zwei Wohnungen unterteilt sind. Wir gehen in Haus 10 in den dritten Stock und ich treffe russianspeaking Babuschka. Und Chupa, den Kater. Die Wohnung ist klein, aber sehr schön. Wirklich sehr schön. Sehr russisch, aber sehr schön. Mein Zimmer ist komplett blau, Fenster hängt man mit so vielen Vorhängen und Jalousien zu, dass auch wirklich niemand mehr reingucken kann. Es gibt eine Küche mit einem zweiten Herd auf dem Wintergarten-Balkon. Daneben ist der Heizofen, der die ganze Wohnung über ein Rohrsystem beheizt und einzigartig ist in diesem Haus. Deshalb sind die Wände auch so kalt. Der Flur führt außerdem noch in das Zimmer der Mama, wo auch den ganzen Tag Fernsehen geguckt wird. Vor dem Zimmer ist noch ein Raucherbalkon (Rauchen ist ungesund). Neben dem Zimmer ist Madinas Zimmer, also jetzt meins, denn sie schläft bei ihrer Mama. Aus dem Flur geht man direkt auf Babuschkas Zimmer zu und links befinden sich Bad und Toilette. Alles ganz normal und könnte in Deutschland genauso aussehen. Ich stelle meine Sachen ab, hole die Gastgeschenke und während des Frühstücks ist Bescherung. Ich glaube, sie haben sich gefreut. Zu Essen gibt es tadschikisches Fladenbrot mit Quark, Käse, Salami, selbstgemachter Aprikosenmarmelade und grünen Tee. Komischerweise unterhalten wir uns recht gut, obwohl nur Madina beide Sprachen kann. Ich weiß nicht mehr genau, über was wir alles geredet haben, aber ich habe mich wohl gefühlt, denn sie waren wirklich lieb und nett und Babuschka hat mir die ganze Zeit noch mehr Essen angeboten. Sie stellt mir auch noch Weintrauben, Äpfel und Granatapfel in mein Zimmer als ich gerade dusche und mich bettfertig mache. Anschließend schlafe ich und höre nur noch, wie jemand leise in mein Zimmer kommt und dann ohne etwas zu sagen wieder geht. Ich schlafe weiter und als ich gegen Mittag aufwache ist mein Reisepass weg. Gut, denke ich. Hätte man in Deutschland jetzt nicht so gemacht, aber der musste noch zur Registrierung und das hat der Papa dann für mich übernommen. Hat dann letztendlich doch nicht geklappt, weil er noch ein Passfoto gebraucht hätte. Madina ist bei einem Leichtathletikwettkampf und man zeigt mir verschiedene Lebensmittel und Tüten und sonstwas und es gibt Essen. Einen Kohlsalat und eine Soße, keine Suppe (wichtig, da gibt es einen Unterschied) und anschließend noch russische Süßigkeiten, die mir immer und immer wieder angedreht werden. Wenn Babuschka sagt „kuschet, kuschet“, dann heißt das, ich soll essen und inzwischen ist das hier ein running gag.

Damit ich morgen auch noch zum running fähig bin (wow, klasse Übergang), schreibe ich morgen weiter, wie mein erster Tag weiterging und was ich noch alles gegessen habe. Morgen ist mein erster Praktikumstag und danach begleite ich Madina zum Leichtathletik.

 

Ich werde berichten!
Lena

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Sa

18

Feb

2017

From Russia with love

 

Ich sitz also gerade in Moskau in einem Flugzeug, Richtung Tadschikistan. Es fühlt sich alles sehr unwirklich an und als wäre ich schon ewig unterwegs. Halle und Deutschland sind grad ganz weit weg. Ich befinde mich irgendwo zwischen übermüdet und ganz normal. Der Tag ist schon ziemlich lang. Vor ziemlich genau zwölf Stunden bin ich am Franckeplatz in die Bahn zum Busbahnhof gestiegen. Dann war ich im Flixbus nach Berlin, in der S-Bahn (die sehr schwer zu finden war) und im Bus zu Flughafen Tegel. Da (am Flughafen, nicht im Bus) war ich ziemlich lange und auch ziemlich ernüchtert, denn ich fand den echt unübersichtlich und eng. Ich war auch zu früh dort und musste noch eine Stunde warten, bis ich einchecken konnte. Der Mann am Schalter war sehr nett und mein Gepäck war zum Glück auch nicht zu schwer. Voll perfekt gepackt!

Mein Reiseziel hat aber wieder Verwirrung ausgelöst. Fast so wie alle Apothekerinnen, die mit Wasserentkeimungstabletten erstmal nichts anfangen konnten, fragt er „Sie fliegen nach ... LBD. Wo ist denn das?“. Ich erkläre (Khudjand hieß früher Leninabad), mein Visum löst Verwirrung aus. Sie sagen dann immer „sto?“, kann das sein? Ein Mann redet Russisch mit mir, dann aber Deutsch. Alles klar, der Koffer sollte das alleine hinkriegen und ich muss ihn in Russland nicht einsammeln. An der Sicherheitskontrolle dann ein alter Mann, der aus irgendeinem Grund die ganze Zeit seinen Koffer vor das Tor stellt, als würde der gleich vom Laufband weggefahren werden. Sie erklären es ihm umständlich, dass er den tragen muss. Eine Minute später redet er aber auf Russisch auf mich ein und findet heraus, dass ich wohl auch nach Moskau fliege. Deshalb fragt er ab jetzt an jeder Wegbiegung, jedem Schalter und jedem Durchgang „Moskau, Moskau?“. Ich lächle komisch, nicke irgendwie und er freut sich. Er hat‘s auch tatsächlich ins Flugzeug geschafft.

In Berlin werde ich sentimental und emotional und sitze mit Tränen in den Augen im Flugzeug. Ich werde Halle ganz schön vermissen, aber hey, was sind schon sechs Wochen? Im Flugzeug neben mir sitzt eine Amerikanerin, aber wir unterhalten uns nicht. Ich glaube, im Flugzeug sind viele Russen. Ich tu einfach so, als würde ich Russisch verstehen und mach einfach das, was alle machen, wenn es eine Durchsage auf Russisch gibt. In der englischen Version verstehe ich genauso wenig, dachte ich doch es seien -20°C in Moskau. Es waren nur -2°C, der ganze Schnee sah aber sehr vielversprechend aus. Zwischendurch guck ich mir die Buchstaben in der Bordzeitung an. In Moskau dann versuche ich erstmal, ins Land einzureisen, ohne ein Visum zu haben. Irgendwie spricht niemand Englisch. Auch die Dame im Transitbereich, wo ich dann hinmusste, nicht. Sehr knappe, direkte Kommunikation hier. Da bringen mir nicht mal meine geringen Russisch-skills etwas, wenn sowieso keiner Bitte, Danke und Hallo sagt.

Im Transit treffe ich die Amerikanerin aus dem Flugzeug wieder und wir beschließen, etwas Essen zu gehen. Wir essen also, unterhalten uns, erkunden den kleinen, leider nicht klischeehaft russischen Flughafen und sie kauft sich einen Magneten von Putin, wie er auf einem Bären reitet (bei Interesse meldet euch einfach bei mir, ich kann auf dem Rückflug auch Putin-T-Shirts und Magneten besorgen). Wir sitzen noch etwas auf dem Boden rum, was auch schon einige Blicke erntet, und beobachten die Leute ein bisschen. Obwohl der Flughafen aussieht wie jeder andere und wir auch nichts typisch Russisches gegessen haben, kann man jetzt doch nach und nach erkennen, wohin die Leute fliegen. Und mit diesen Leuten sitze ich jetzt im Flugzeug und mannomann, riecht es hier gut. So wie in Dubai! Außer mir ist noch eine Flugbegleiterin blond. Sonst war‘s das. Die Leute gucken zwar, aber starren nicht. Die Amerikanerin ist übrigens noch in Moskau und wartet auf ihren Flug nach Armenien, wo sie Dokumentarfilm(en) unterrichten wird. Sie kam auch gerade von der Berlinale. Mittlerweile gibt es Essen im Flugzeug; das gleiche Cheesesandwich wie auf dem Moskauflug. Es wurden leichte bis moderate Turbulenzen angekündigt und vielleicht wollen die, dass wir währenddessen wenigstens einen vollen Magen haben. Die Angestellten kommen mir ein bisschen angepisst vor, aber ich glaube, das sind sie gar nicht. Ja, und jetzt sitze ich hier auf irgendeinem Platz im Flugzeug zwischen zwei Tadschiken und fühle mich eigentlich ganz wohl. Es ist ein bisschen eng hier, die Sitze sind wie durchgehende Bänke, die nur durch Armlehnen abgetrennt werden, man hält nicht viel von der Armlänge Abstand und chillt sein Leben. Einige Leute schlafen. Der Typ links von mir guckt soap-operas auf YouTube, wenn er nicht gerade seine eigenen Selfies bewundert und der Typ auf der rechten Seite wundert sich, was die blonde Nicht-Russin da macht. Es wird wieder Tee im Flugzeug verteilt, alle reden Russisch oder Persisch und es ist sehr sehr unwirklich, hier zu sein. Vielleicht sollte ich auch schlafen, damit ich nicht ganz so fertig bin, wenn ich ankomme. Die ganzen Eindrücke müssen ja auch irgendwann mal verarbeitet werden. Jetzt hat der Typ links eine App offen, die immer eine Zahl höher geht, wenn er auf den Bildschirm tippt. Er ist schon bei 323. Oh, und jetzt wieder bei 1? Komisch.

Man weiß ganz schön wenig über Russland, haben wir uns vorhin gedacht. Und über Armenien und Tadschikistan irgendwie gar nichts. Man hat ja wahrscheinlich auch noch nie einen Menschen aus Tadschikistan getroffen.

Kurz bevor ich entscheide, es mit dem Schlafen zu versuchen, geht mir durch den Kopf, wie wohl meine Ankunft wird, wie es dort aussieht und wo ich wohnen werde. Aber das ist eine andere Geschichte.

Lena

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Do

16

Feb

2017

Weiter geht's

So, weiter geht's, ne? Vor fünf Jahren hab ich diesen Blog angefangen und irgendwie ist es komisch, die alten Einträge jetzt wieder zu lesen. An viele Dinge würde ich mich gar nicht mehr erinnern, was total schade ist. (Aber ist das nicht der Sinn von Erinnerungen, dass man die Wichtigsten auch so behält, ohne Fotos, Facebook, Souvenirs? Ok, das wird ein anderer Blogeintrag.) Und wenn ich mich dann doch wieder an diese Dinge erinnere, merke ich, dass ich sie jetzt irgendwie ganz anders sehe und manche Sachen gar nicht mehr so schreiben würde. Ich hab damals so viele andere Au-Pair Blogs gelesen und meine ganze Abizeit statt mit Lernen nur mit Blogs verbracht. Und die Sichtweisen der anderen Au-Pairs und ihre Berichte scheinen meinen Fokus auf gewisse Dinge und Anschauungsweisen gelenkt zu haben, was ja auch nicht unbedingt schlecht ist. Es wurde ganz genau festgelegt, was die besten Aufregerthemen sind: Klischees, wie das Essen, die faulen Amis, Kindererziehung, Gastmütter.

Worauf ich aber hinaus will: Ich schreibe jetzt hoffentlich wieder regelmäßig und berichte aus Tadschikistan, damit ich in ein paar Jahren wieder hier sitze und mich an komische Details aus meiner Vergangenheit erinnere und mir mit der Hand vor der Stirn denke, "wieso hast du das geschrieben?". Und natürlich, dass meine Leute in good old Germany ein bisschen entertaint werden, in der regnerischen Tristesse Norddeutschlands und in Halle, und wo auch immer ihr sonst seid.

Tatsächlich sitze ich hier jetzt auch zwischen Panik und grenzenloser Vorfreude mit der Hand vor der Stirn und frage mich, wie um alles in der Welt ich auf die Idee gekommen bin, dass es eine gute Idee ist, ein Praktikum in Tdaschi- Tjadschi- Tadschikistan zu machen.

TA - DSCHI - KI - STAN. Und da fliege ich morgen hin! Bis zum 1. April Natürlich kann ich das nicht realisieren und werde sentimental. Der Bus fährt morgen um 9 nach Berlin, dann flieg ich nach Moskau (what whaaat?) und dann nach Khudjand. An dieser Stelle könnte ich etwas über Tadschikistan schreiben, jedoch weiß ich selbst noch gar nicht allzu viel. Man sagt, ich solle mich ins kalte Wasser stürzen und überraschen lassen, sei es doch sowieso unmöglich, Pläne zu machen. Tadschikistan liegt in Zentralasien. Etwa hier:

Unter der Markierung liegt Khudjand (für alle kyrillisch-Beflissenen: Хуҷанд), die zweitgrößte Stadt des Landes. In Tadschikistan leben 8,6 Millionen Menschen, 780 Tausend in der Hauptstadt Duschanbe und 172 Tausend in Khudjand. Man spricht dort Russisch und Tadschikisch, einen Dialekt des Persischen, der aber mit dem kyrillischen Alphabet geschrieben wird. Das Land ist eine "Republik", in etwa so, wie die DDR auch keine Diktatur war, aber über Politik sollte man dort nicht sprechen. Ich werde in einer Gastfamilie wohnen, die aus Oma, Mutter und einer Zehntklässlerin besteht, die die Schule besucht, an der ich mein Praktikum absolvieren werde. Das ist das Goethe-Gymnasium. Ich werde den Deutschunterricht mitgestalten. Mehr dazu, wenn ich auch wirklich dort bin.

Aber wie bin ich auf diese Idee gekommen? Also, irgendwie war's ja klar, dass ich für das Praktikum wieder ins Ausland gehe. Und ich hab noch nie eine Sprache unterrichtet und sehe die Erfahrung im Unterrichten als große Möglichkeit, auch zukünftige Reisen durch die Weltgeschichte damit zu verbinden und zu finanzieren. Ich bin auf das Programm des VIA e.V. gestoßen, weil in der Uni ein Aushang hing, der Unterrichtspraktika in Usbekistan, Kirgisistan und in der Mongolei anbot. Hin- und hergeschrieben mit der Programmleitung. Kati wird in die Mongolei gehen, mir war das dann aber zu teuer und ich hab mir Projekte in Usbekistan angeguckt. Da hätte das mit dem Visum nicht so schnell geklappt und die Schule in Tadschikistan klingt sehr sympathisch. Viele Emails und ein Telefonat später war die Entscheidung gefallen. Zwischendurch noch ein bisschen Panik wegen medizinischer Versorgung und Hindukusch und so, aber wenn man sich die Seite vom Auswärtigen Amt einfach nicht anguckt, geht das schon. 

Der Blog heißt weiterhin lenagoestoamerica, denn das ist doch das zentrale Thema des Blogs und Amerika war der Anstoß für alle weiteren Reisen und auch für Dubai. lenagoestoamericaundalleswasdaraufaufbaut

Ich bin gespannt und weiß nicht, was ich tu. Aber ich kann novastan.org für weitere, aktuelle Informationen über Tadschikistan empfehlen.

Bis bald,

Лена

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