Wenn Babuschka sagt, du hast Hunger, dann hast du Hunger

„Kuschet, Kuschet“, ist vielleicht das erste, was ich hier gelernt habe. Aber von vorn.

Ich habe im Flugzeug noch ein bisschen geschlafen. Wenn man beim Landeanflug aus dem Fenster geguckt hat, sah es ein bisschen aus wie Deutschland. Aber im Dunkeln mit den Lichtern sehen viele Städte gleich aus. Dann ist das Flugzeug gelandet und ich wusste gar nicht, wo ich hin muss. Natürlich ergibt sich das immer ein bisschen von selbst. Es gab ein großes Schild „Welcome Dear Guests“ auf der Landebahn und dann fuhr ein Bus zum Flughafengebäude. Ich saß dann auffällig europäisch mit meinem Wanderrucksack und einer Tasche im Bus und fiel allein schon dadurch auf, dass ich keine Nettotüte oder irgendetwas mit Klebeband Zusammengehaltenes als Handgepäck mitführte. Der Stauraum im Flugzeug ist halt immer perfekt für drei Koffer im Standardmaß gemacht, aber bei dieser Größen- und Formenvielfalt ging es trotzdem irgendwie und es ist niemandem etwas auf den Kopf gefallen. Am Flughafengebäude angekommen stürmen alle Leute sofort aus dem Bus und drängeln sich hinein zur „Boarder Control“. Eine Frau mit Baby wird vorgelassen und nach einiger Zeit falle ich wohl jemandem auf und plötzlich machen alle für mich frei und stupsen je ihren Vordermann (nicht Vorderfrau) an, damit sie zur Seite gehen. Der Beamte an der „Boarder Control“ freut sich über meinen nicht-tadschikischen Pass und ist sehr freundlich, Englisch kann er sogar auch. Ich muss dann irgendein Einreiseformular ausfüllen und habe keinen Plan, was die wissen wollen. Er hats so akzeptiert und ich hoffe, die lassen mich im April auch wieder ausreisen. Bis das Formular fertig ist, sind zwischenzeitlich schon alle anderen Menschen an der Gepäckausgabe und ich kann meinen zweirädrigen Koffer schon von weitem seine Runden drehen sehen. Unglaublich, dass er es hierher geschafft hat. Der Beamte sagt „welcome to our country“ und ich hole meinen Koffer. Der wird dann noch durchleuchtet und ich kann in die Flughafenhalle gehen. Da weiß ich nicht, ob rechts oder links. Jemand zeigt mir den Weg und ich sehe nur zwei Glastüren, hinter denen offensichtlich eine kleine Treppe ist. Das ergibt ein Bild von dutzenden tadschikischen Köpfen mit teilweiser Fellmützenbedeckung, die alle auf die schlecht beleuchtete Tür starren. Na Prost Mahlzeit, ich habe keine Ahnung, wie meine Gastfamilie aussieht. Ich öffne also die Tür, versuche meinen Koffer die Holzrampe runter zu fahren, aber überall stehen Leute und mein Koffer hat ja nur noch die Hälfte seiner Räder. Plötzlich kommt eine orangehaarige Frau und sagt „Lena?“, ich sag „ja!“ Ein Mädchen nimmt meinen Koffer und wir verlassen die Menschenmenge. Ich werde tausend Mal gefragt, ob ich ein Taxi brauche, aber offensichtlich habe ich ja schon eins. Madina, meine Gastschwester fängt an, mit mir zu reden. Sie und ihre Mama sind kleiner als ich und Madina spricht Deutsch. Wir gehen zum Auto – und jetzt fragt nicht, welche Marke, ich weiß sowas nicht – und buchsieren meinen Koffer in den Kofferraum. Ich setze mich auf die Rückbank und suche das Ding, wo ich meinen Anschnallgurt befestige. Überraschung. Es ist nicht existent. Wir fahren durchs dunkle Khudjand und ich bin überwältigt. Ey, ich bin jetzt in Tadschikistan. Wir reden ein bisschen auf Deutsch und die Mama auf Russisch, was mir aber übersetzt wird und sie zeigen mir im Dunkeln aus dem Auto heraus ein paar Sehenswürdigkeiten. Wenn man schlagartig den ganzen Schlaglöchern ausweicht, ist das auf der Rückbank ziemlich lustig. Es fahren aber alle recht vorsichtig, vielleicht weil sie das wissen. Was mir noch auffällt, sind zahlreiche Bahnübergänge, die wir in Schritttempo überqueren. Inzwischen ist es bestimmt sechs Uhr morgens und wir kommen an der Wohnung an. Hier stehen mehrere Riesenreihenhäuser wie Platten nebeneinander, die jeweils in bestimmt 12 Eingänge mit je 5 Stockwerken mit je zwei Wohnungen unterteilt sind. Wir gehen in Haus 10 in den dritten Stock und ich treffe russianspeaking Babuschka. Und Chupa, den Kater. Die Wohnung ist klein, aber sehr schön. Wirklich sehr schön. Sehr russisch, aber sehr schön. Mein Zimmer ist komplett blau, Fenster hängt man mit so vielen Vorhängen und Jalousien zu, dass auch wirklich niemand mehr reingucken kann. Es gibt eine Küche mit einem zweiten Herd auf dem Wintergarten-Balkon. Daneben ist der Heizofen, der die ganze Wohnung über ein Rohrsystem beheizt und einzigartig ist in diesem Haus. Deshalb sind die Wände auch so kalt. Der Flur führt außerdem noch in das Zimmer der Mama, wo auch den ganzen Tag Fernsehen geguckt wird. Vor dem Zimmer ist noch ein Raucherbalkon (Rauchen ist ungesund). Neben dem Zimmer ist Madinas Zimmer, also jetzt meins, denn sie schläft bei ihrer Mama. Aus dem Flur geht man direkt auf Babuschkas Zimmer zu und links befinden sich Bad und Toilette. Alles ganz normal und könnte in Deutschland genauso aussehen. Ich stelle meine Sachen ab, hole die Gastgeschenke und während des Frühstücks ist Bescherung. Ich glaube, sie haben sich gefreut. Zu Essen gibt es tadschikisches Fladenbrot mit Quark, Käse, Salami, selbstgemachter Aprikosenmarmelade und grünen Tee. Komischerweise unterhalten wir uns recht gut, obwohl nur Madina beide Sprachen kann. Ich weiß nicht mehr genau, über was wir alles geredet haben, aber ich habe mich wohl gefühlt, denn sie waren wirklich lieb und nett und Babuschka hat mir die ganze Zeit noch mehr Essen angeboten. Sie stellt mir auch noch Weintrauben, Äpfel und Granatapfel in mein Zimmer als ich gerade dusche und mich bettfertig mache. Anschließend schlafe ich und höre nur noch, wie jemand leise in mein Zimmer kommt und dann ohne etwas zu sagen wieder geht. Ich schlafe weiter und als ich gegen Mittag aufwache ist mein Reisepass weg. Gut, denke ich. Hätte man in Deutschland jetzt nicht so gemacht, aber der musste noch zur Registrierung und das hat der Papa dann für mich übernommen. Hat dann letztendlich doch nicht geklappt, weil er noch ein Passfoto gebraucht hätte. Madina ist bei einem Leichtathletikwettkampf und man zeigt mir verschiedene Lebensmittel und Tüten und sonstwas und es gibt Essen. Einen Kohlsalat und eine Soße, keine Suppe (wichtig, da gibt es einen Unterschied) und anschließend noch russische Süßigkeiten, die mir immer und immer wieder angedreht werden. Wenn Babuschka sagt „kuschet, kuschet“, dann heißt das, ich soll essen und inzwischen ist das hier ein running gag.

Damit ich morgen auch noch zum running fähig bin (wow, klasse Übergang), schreibe ich morgen weiter, wie mein erster Tag weiterging und was ich noch alles gegessen habe. Morgen ist mein erster Praktikumstag und danach begleite ich Madina zum Leichtathletik.

 

Ich werde berichten!
Lena

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Kommentare: 1
  • #1

    JD (Sonntag, 19 Februar 2017 21:14)

    Schön zu wissen, dass du im weit entfernten Land auch mal an mich denkst - habe deinen vorwurfsvollen Kommentar regelmäßig im Ohr!

    Take Care und berichte fleißig weiter.
    (Eine Zumutung übrigens, dass ich gefragt werde, ob ich ein Roboter bin!)