Das Praktikum beginnt

Und es kam der erste Praktikumstag. Ich wusste so gar nicht, was ich zu erwarten hatte und war trotzdem nervös. Dabei konnte ich gar nicht genau sagen, vor was ich Angst hatte. Ich habe mich natürlich gefreut, dass ich alle Leute kennenlernen werde, aber ich wusste ja überhaupt gar nicht, wie es in der Schule aussieht und wie die Leute so sind. Also musste ich alles auf mich zukommen lassen. Das ist für Deutsche, die gerne alles planen, gar nicht so einfach.

Der Tag beginnt mit dem Aufstehen um halb sieben, dann gibt es Frühstück, Babuschka schmiert uns Brot für die Schule und legt noch ein paar Süßigkeiten dazu und um viertel vor acht (dreiviertel acht) gehen wir zum Auto. Da es über Nacht gefroren hat, müssen die Fenster noch freigekratzt werden. Dass das so lange dauert, wusste ich nicht und ich sitze ziemlich lange im Auto, während Madina und die Mama mit einem Lappen das Eis wegmachen. War ein bisschen blöd, währenddessen tatenlos im Auto zu sitzen, aber da war es schon zu spät, wieder auszusteigen. Wir fahren nur ein Stückchen mit der Mama mit, die danach zur Arbeit fährt. Sie lässt uns an der Straße raus und wir warten auf die gelbe Schul-Marschrutka (Eine andere Marschrutka mit der Aufschrift „Der Glaser kommt.“ fährt vorbei – Wer googeln möchte, woher das Auto ursprünglich kommt, bitte). Es ist eng wie immer und ich treffe schon die erste Lehrerin. Und eine andere Lehrerin treffe ich auch, aber nur mit meinem Rucksack in ihrem Gesicht. Das war nicht so angenehm, vor allem weil ich mich gar nicht richtig auf Russisch oder Tadschikisch entschuldigen konnte. Toller erster Eindruck.

Von der Haltestelle bis zur Schule geht es über eine kleine matschige Straße und dann sind wir auch schon auf dem Schulhof. Es gibt vorne ein großes Tor, in der Mitte ist der Hof mit einem Garten, links ist ein langes Gebäude, in dem die Grundschule und die Mensa sind und rechts ist das Gymnasium. Bilder kommen wohl erst im April.

Madina will mich der Direktorin vorstellen, aber die ist noch nicht da. Wir gehen also ins Deutschkabinett, das Lehrerzimmer der Deutschlehrerinnen. Da treffe ich noch mehr Lehrerinnen, die mich alle ganz freundlich empfangen und mir auch gleich einen Stundenplan diktieren. Ich bin von Montag bis Samstag in fast allen sieben Stunden eingesetzt und begleite jeweils eine Deutschlehrerin in ihrem Unterricht. Das Ziel wird aber sein, dass ich 4 Schülerinnen und Schüler auf einen Wettbewerb in der Hauptstadt Duschanbe vorbereite, in der Disziplin mündliche Kommunikation. Die Schüler sind noch nicht ein Mal ausgewählt, also wird das noch Zeit haben. Der Wettbewerb ist dazu noch eine Woche nach meiner Abreise, aber wir werden sehen.

In der ersten Stunde gehe ich mit Zarina in die achte Klasse und stelle mich vor. Die Schule ist eine Privatschule und eine der besten Schulen des Landes. In den beiden achten Klassen sind jeweils maximal 10 Schülerinnen und Schüler. Im Gegensatz zur 8N, in die ich damals mit über 30 anderen Leuten ging, ist diese Klasse sehr aufgeschlossen, alle melden sich und wollen etwas beitragen, sprechen viel und gut Deutsch und haben zwar Respekt, aber keine Angst vor den Lehrern und auch keine Angst, vor der Klasse zu sprechen. Die Lehrer tun zwar streng, aber lachen auch viel und das Schüler-Lehrer-Verhältnis ist sehr entspannt. Manche Schüler werden beim Spitznamen genannt – man hängt auf Tadschikisch ein –jon an den Namen, das bedeutet –chen oder –lein. Zarina spricht auch nur Deutsch mit ihnen und sie tragen ihre Hausaufgaben vor und diskutieren laut über die richtige Überschriftenzuordnung im Buch. Ich erinnere mich an meinen Spanischlehrer, der selten Spanisch sprach und lieber auf Deutsch über DSDS, Popstars, GNTM und Co. plauderte und schüttele innerlich mit dem Kopf. Bevor ich in der zweiten Stunde eine andere achte Klasse besuche, stelle ich mich mit den anderen Lehrerinnen ans Fenster, weil dort die warme Sonne hinein scheint. Es gibt auch eine Schulklingel, die die 45-minütigen Einheiten einläutet und beendet und niemand weiß so wirklich, wann welche Stunde anfängt. Ich denke, die Klingel ist nur ein grober Hinweis, dass man vielleicht in Betracht ziehen sollte, das Klassenzimmer zu wechseln, aber man lässt sich immer viel Zeit. Ich stehe also mit den anderen am Fenster, wo es warm ist. Im Deutschkabinett gibt es eine Heizung, die selten funktioniert. In den anderen Räumen gibt es nicht mal eine Heizung und es ist dementsprechend kalt. Alle Leute haben über ihren Uniformen Jacken an und manche haben auch Mützen auf. Das klingt jetzt wie in der dritten Welt, voll dramatisch, aber ist es nicht genauso traurig, Leuten in Südeuropa zu erzählen, dass es in Norddeutschland immer regnet? Es gibt kein falsches Wetter, nur falsche Klamotten! Zurück zum Fenster. Eine Tadschikisch-/Geschichtslehrerin kommt und erzählt mir gaaaanz viel auf Tadschikisch. Man übersetzt mir, dass sie mein Aussehen sehr arisch findet. Das sei ja unsere Gemeinsamkeit mit den Tadschiken, die dann aber noch mit den Mongolen gemischt wurden und deshalb andere Augen haben. Ähm ja. Von dieser Theorie berichtet mir auch Tim, der FSJler, der am nächsten Tag abreisen wird. Vor 1933 war das vielleicht noch eine (zumindest politisch) korrekte Aussage, in Deutschland sollte man das aber in diesem Vokabular niemandem mehr erzählen. Tim zeigt mir die Schule und erzählt viel über Land und Leute und die Schule und ihre Projekte. Er fragt auch nach meiner Registrierung und erzählt, dass er noch sämtliche Dokumente einreichen musste, damit die genehmigt wird. Unter anderem ein Beweis, dass er kein AIDS hat. Der „Beweis“ ist aber die Zahlung von 27 Somoni (2,70€). Nachmittags erfahre ich, dass mit meiner Registrierung alles gut war, meine Gastfamilie scheint wohl genug Einfluss zu haben. Ich heiße jetzt übrigens Toraff Lena, so steht es auf dem Zettel.

Anschließend gehe ich mich bei der Direktorin vorstellen, die ein richtig russisches Büro hat und auch nur russisch spricht. Da stehe ich also vor einer strengen Pelzmützenträgerin, gucke sie an und verstehe kein Wort von dem, was sie sagt. Umeda, eine andere Lehrerin übersetzt für mich und ich glaube, die Direktorin mag mich nicht. Mit der werde ich sowieso nicht viel zu tun haben. Ich gehe mit Umeda etwas essen und es gibt eine Suppe mit Brot in der Mensa. Die Küche sieht sehr provisorisch und gewöhnungsbedürftig aus und alle sprechen dort tadschikisch, sind aber sehr lustig. Die Toiletten auf dem Hof sind ebenso interessant (Löcher im Boden) und es gibt nicht mal Seife am Waschbecken. Ich stehe also zwischen den Polen „den ganzen Tag Tee trinken“ und „die Toilette vermeiden“. Mal sehen, wie ich mich entscheide, aber von 8-15:30 Uhr nicht zu Hause zu sein, ist schon lange. Das Essen schmeckt auf jeden Fall ganz gut.

Nach dem Essen stelle ich mich der stellvertretenden Schulleiterin vor, die ähnlich eigenartig ist und wie alle anderen sagt, dass ich sehr jung aussehe. Natürlich auf Russisch, mir musste wieder übersetzt werden. Ich stelle mich noch in sämtlichen anderen Klassen vor. Es gibt pro Stufe meistens zwei Klassen, in der Abschlussklasse 11 wurden alle zusammen gelegt, aber die sind sowieso schon mit den Prüfungen durch und haben keine Lust mehr auf Schule. Die Schüler wollen alle wissen, was ich werden möchte, also denke ich mir irgendwas aus und erzähle, dass ich mal ein Buch schreiben möchte, haha. Stimmt ja auch, aber das ist ja kein Job für immer. Hier wollen (oder sollen) alle Medizin, Informatik oder Architektur (in Deutschland) studieren und streben somit beständige, gut bezahlte Jobs an, was in Tadschikistan wichtig ist und ein hohes Ansehen hat. Und dann kommt die Deutsche, die irgendeine Geisteswissenschaft studiert und sich nicht so viele Sorgen um eine gut bezahlte Arbeit macht. Wir sind so privilegiert.

In der letzten Stunde stehe ich vor der Militärklasse 10. Jede Schule muss wohl eine Militärklasse haben. Im Klassenzimmer hängen Plakate mit Waffen drauf und sonstigen patriotischen Dingen. Alle haben Uniformen an und alle sind pubertäre Jungs. Da um 15 Uhr alle fluchtartig das Gebäude verlassen, um den Schulbus zu erwischen, verlässt die Lehrerin schon vorher den Raum um ihre Jacke zu holen und ich kontrolliere die Übersetzungen der Schüler. Sie geben sich Mühe und machen soweit ich weiß alles richtig. Die deutschen Sätze sind zumindest grammatikalisch korrekt. Den russischen Ausgangssatz verstehe ich ja nicht.

Um 15 Uhr verlasse ich auch fluchtartig das Gebäude und wir holen in der Musikschule Madinas zweite Gitarre ab, weil bei der anderen gestern eine Saite gerissen war. Danach fahren wir nach Hause, ich esse schnell mein Schulbrot. Babuschka findet das gar nicht lustig, dass ich das in der Schule nicht gegessen hatte. Und anschließend gehen wir zum Stadion, wo Madina Leichtathletik trainiert. In der Schule hatte sie heute einen Vortrag darüber gehalten, dass sie gerne Profisportlerin werden möchte, man in Tadschikistan jedoch kaum Möglichkeiten dazu hat. Und das stimmt. Sie bewundern meine „Elastik“-Hose, die ja auch nur von LIDL ist und 10€ gekostet hat. Meine Nike-Schuhe sind mir schon fast peinlich. Andere laufen hier mit Ballerinas. Aber sowas gibt es hier alles nicht. Noch nicht mal zu kaufen. Dafür fahren sie in die Hauptstadt, wo alles aber sehr teuer ist oder nach Russland, aber da muss man auch erst mal hinkommen. Es gibt keine Umkleideräume und auch keine Sporthalle. Da die Sonne scheint, machen wir aber draußen Training. Die Laufbahn ist aber sehr alt und wölbt sich. Es gibt einen Trainer, der individuell Anweisungen gibt, aber da Madina fünf Mal pro Woche hier ist, weiß sie selber Bescheid. Es sind erstaunlich viele Leute auf dem Platz. Kinners, in Deutschland haben wir all diese Möglichkeiten und Materialien, aber es machen so wenige Leute ernsthaft Sport! Die Leute sind wirklich gut hier und total motiviert und ich bin echt erledigt nach dem Training. Am Ende zeige ich ihnen noch ein paar Yoga-Übungen und Madina übersetzt auf Tadschikisch. Sprachwissenschaftlich übrigens sehr interessant, in welchem Kontext hier wer welche Sprache spricht. In der Schule mit den Freunden Russisch, im Stadion Tadschikisch. Und dank Türkisch verstehe ich wenige Wörter. Wir ziehen uns wieder auf irgendeinem Zwischenflur bei den Boxern um und die Mama holt uns ab. Zu Hause gibt es Borschtsch und ich versuche halbtot ins Bett zu fallen, brauche aber wieder viel zu lange, um einzuschlafen und bin am nächsten Praktikumstag entsprechend müde.

Der zweite Morgen läuft ähnlich ab. Ich bin als erste im Büro und lese mir ein paar Methoden durch, damit ich vielleicht mal spontan etwas aus dem Ärmel schütteln kann. Ich besuche zwei neunte Klassen und dann machen wir die Auswahlgespräche für den Wettbewerb in Duschanbe. Die 3 Schülerinnen und 2 Schüler (alle mit Namen, die ich nicht verstanden hab) sollen nach einer Stunde Vorbereitung über das Thema „Bücher in meinem Leben“ sprechen. Danach gehen wir Essen und es  gibt Nudeln. Ich sitze noch ein bisschen mit einer anderen Deutschlehrerin in der Mensa. Sie hat heute Fisch mitgebracht, den wir zu den Mensanudeln essen. Sie ist Deutsche und kommt aus der Nähe von Hamburg, ein bisschen Heimat! Obwohl sie schon seit fünf Jahren hier ist, versteht sie nicht viel Russisch, geht aber total witzig damit um. „Man merkt, dass alles irgendwie läuft, aber man weiß nie wie.“ Anschließend versuchen wir, die auszuwählen, die nach Duschanbe fahren dürfen. Aber bevor die Entscheidung fällt, muss man erst wissen, ob die Eltern die Reise überhaupt erlauben. Heute Nacht gab es wieder Lawinen auf dem Weg nach Duschanbe und eine Autofahrt ist zu gefährlich. Und Fliegen ist teuer. Und manche Eltern wollen ihre Kinder aus Prinzip nicht zu dem Wettbewerb schicken. Das ist übrigens ein internationaler Deutschwettbewerb, in dem jedes Land Leute schickt, die dann in Berlin gegeneinander „antreten“. Meistens gewinnen aber die Kinder aus Deutschlands Nachbarländern, die ein deutsches Elternteil haben und sowieso fließend sprechen (oder „einen deutschen Elternteil“? Irgendwann fängt man so an zu denken und zu sprechen, wie hier die Deutschlehrerinnen und die Kinder sprechen). Aber die Reise nach Deutschland ist natürlich auch ein großer Erfolg.

Ich werde der wohl lautesten Klasse (7.) der Schule vorgestellt. Ein Mädchen singt für mich und ein Junge spielt Geige. Richtig gut.

Dann habe ich eine Stunde Pause und spiele auf dem Hof mit der neunten Klasse Volleyball. Der Sportunterricht besteht hier nur aus Volleyball, weil die Sporthalle noch nicht fertig gebaut ist und es wohl auch erst in ein paar Jahren wird. Es gibt nur ein Volleyballfeld und einen Ball, und ein Spiel kommt leider nur dann zustande, wenn die Lehrer und ein paar der Jungs spielen, weil die Mädchen entweder weglaufen oder den Ball fangen. Ich spiele auf meiner Lieblingsposition und es macht total viel Spaß. Ich sollte man wieder richtig anfangen zu spielen! Die Aufgabe von oben sollte ich auch mal üben. Danach rede ich noch mit ein paar Schülerinnen und die eine zupft mir meine blonden Haare vom Mantel. Oh man, ich sollte den wohl echt mal enthaaren.

In der letzten Stunde bin ich in der anderen siebten Klasse und um 15 Uhr verlassen wir fluchtartig das Gebäude. Zu Hause esse ich mein nicht gegessenes Pausenbrot (shame on me again) und Madina geht zum Sport. Ich bin unglaublich müde und habe eh Muskelkater. Erst sitze ich noch mit Babuschka in der Küche und wir „reden“. Sie erzählt viel und ich verstehe ein bisschen. Wir beobachten die Katzen und Vögel draußen, und dann schlafe ich bis zum Abendessen. Es gibt Plov, ein traditionelles Gericht und es schmeckt mal wieder vorzüglich. Das ist Reis mit Kichererbsen und Schafsfleisch und anderem Gemüse und dazu isst man saure Gurken, Rettich und eingelegte Tomaten. Und man träufelt ein bisschen Zitronensaft drüber. Wirklich gut! Ich habe gehört, in Berlin gibt es ein tadschikisches Restaurant. Sonst eröffne ich in Halle ein privates und besorge mir schon mal die Rezepte. Und jetzt sitze ich hier wieder im Halbschlaf in meinem Zimmer und sollte gleich mal versuchen zu schlafen. Ich wache immer noch mitten in der Nacht auf und bin dann tagsüber echt fertig. Und das ganze Russisch/Tadschikisch/neue Leute und so weiter macht auch müde. Und das Frieren in der Schule auch.

Also kalte Grüße aus Khudjand,

Lena

 

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