Nach einer Woche

Eine Woche bin ich jetzt schon unterwegs. Unglaublich, wo ist die Zeit geblieben? Morgen früh bin ich dann sieben Tage hier.

Noch ist alles neu für mich und ich muss mich erst einfinden und an Sachen gewöhnen oder sie überhaupt erst verstehen. Natürlich auch die Sprache, aber auch einfach, wie man Dinge macht, wie hier unterrichtet wird, was meine Aufgabe an der Schule ist und auch, wie ich mich in der Öffentlichkeit verhalte.

Aber was ist in dieser Woche alles passiert? Die Schulwoche ist übrigens noch nicht vorbei, samstags ist auch Schule. Und das nicht nur einen halben Tag, sondern ganz normal von 8:30 bis 15 Uhr.

Mittwoch war ich in der Schule und habe zwei Stunden hospitiert. Morgens begrüßen immer alle alle im Vorbeigehen und alle Kinder kommen mit „Guten Morgen“ zu mir, und tagsüber dann „Guten Tag, wie geht es Ihnen?“ und die kleinen sagen was auf Russisch, geben sich dann aber große Mühe, etwas auf Deutsch zu formulieren.

Dann kam Madina und meinte, ich solle mit zum Sportwettbewerb fahren. Ich muss mich dann immer fügen, wenn irgendwas auf Russische und Tadschikisch beschlossen wird. Ich hab keinen Plan, was überhaupt passiert und lasse mich überraschen. Also treffen wir uns um 10 am Schultor und fahren mit der Marschrutka (es gibt übrigens nicht nur eine mit „Der Glaser kommt“) zum Stadion. Es kommen so ungefähr 20 Schüler mit, und der lustige Sportlehrer, der denkt, ich heiße Helen – gesprochen mit einem russischen H. Dort angekommen, laufen wir eine Runde, um uns warm zu machen. Ich hab aber keine Sportschuhe mit, weil ich von nichts wusste und hab auch nur meinen Mantel an. Ich laufe eine Runde, aber beim Sprinten mach ich nicht mit. Das war mir dann doch zu risky und unnötig. Ich schaue also zu, während viel auf Russisch diskutiert wird. Die Mädels trauen sich irgendwie nicht, mit mir zu reden, die Jungs dafür umso mehr. Die ganze Veranstaltung dauert etwa 2,5 Stunden und wir fahren zurück. Madina und ich steigen aber schon am Museum aus, weil das jeden Tag schon um 16 Uhr schließt. Ich bin etwas verwirrt, weil ich nicht weiß, ob die Lehrerinnen davon wissen, aber mir wird versichert, dass alles gut ist. Ich bin so deutsch und denke, dass ich die ganze Zeit anwesend sein muss und die Zeit in der Schule möglichst effektiv nutzen sollte. Ich muss das verlernen.

Wir gehen also ins Museum. Beim Ticketkauf allerdings zeigt die nette Dame uns einen Zettel, dass das Museum nicht für Touristen ist. Ich wusste, dass Touristen gerne mehr Geld abgezogen wird, weil ja alle Touristen reich sind. Aber dass sie nicht rein dürfen, scheint mir schon sehr seltsam. Wozu sind Museen denn da? Dafür, dass die gesamte Khudjandbevölkerung ständig ihr eigenes Museum (übrigens historisches Museum der Sugh-Region) besucht? Und die paar Touristen aus dem restlichen Tadschikistan? Ich versteh es einfach nicht. Aber eine Freundin von Babuschka arbeitet dort, und die Lehrerinnen sagen auch, dass sich das Problem lösen lässt. Hoffe ich also, dass ich das irgendwann dann doch noch besuchen darf. Zur Not spiele ich die taubstumme Tadschikin.

Nach dem Verzehr von leckerem fettig frittiertem Straßenessen und einem Besuch im Supermarkt, der für mich auch wie ein Museum ist (es gibt aber das gleiche wie bei uns, trotzdem faszinierend), gehen wir nach Hause, wo ich ein bisschen Russisch lerne und chille oder schlafe, weil ich echt immer fertig bin. Außerdem ist der Strom ausgefallen und es ist ganz leise in der Wohnung, weil der Fernseher nicht läuft. Babuschka war ganz aufgeregt. Wie soll sie denn so Essen machen? Und Tee kochen? Sie wäre aber nicht Babuschka, wenn sie dafür nicht zur Nachbarin gegangen wäre.

Am Donnerstag ist Männertag, ein russischer Feiertag, der aber in Tadschikistan eher ein Nationalfeiertag für die Soldaten ist. Ich habe Anfang der Woche schon mitbekommen, dass die Mädchen am Mittwoch länger in der Schule bleiben wollten, um zu schmücken und Geschenke vorzubereiten. Dass es aber so eine fette, fette Party werden würde, hätte ich nicht gedacht. Morgens gehen die Lehrer eine halbe Stunde in ihre Klassen und um 9 stellen wir uns alle um das Volleyballfeld auf. Es folgen Nationalhymne, diverse Ansprachen, ein nicht ganz so ernst genommener Marsch der kichernden 10 a oder b, also der Militärklasse, die Ehrungen der besten Schüler, ein Lied der Grundschule und viel Musik. Nach etwa einer Stunde in der Kälte stehen, dürfen wir wieder rein gehen. Ich gehe zurück ins Klassenzimmer, wo gerade das Thema Oktoberfest behandelt wurde. Ich muss da mal hin, damit ich im Ausland endlich erzählen kann, dass ich da mal war. Die Kinder zeigen mir Lebkuchenherzen aus Papier und die Mädchen erzählen mir von irgendwelchen hübschen spanischen, französischen und koreanischen Sängern und ich bekomme diverse Handys mit Bildern vor die Augen gehalten. Ein Mädchen schenkt mir einen Haarreifen und es werden noch ein paar Selfies gemacht, während die Jungs mit Zeitung und Klebeband den Raum abdunkeln, um eine Disko zu machen. Die beste Disko gab es aber nicht in dieser Siebten, sondern in der Zehnten. Der ganze Raum war dunkel, es gab sogar diese bunten Diskolichter, ganz viel Deko, Musikboxen mit Laptop, Torte und bei diesem Anblick entscheiden sich auch alle Lehrer gegen Unterricht. Stattdessen wird im Deutschlehrerzimmer Gyros/Döner bestellt. Irgendwann gehe ich noch ein bisschen Volleyball spielen und hospitiere noch in einer Klasse. Das ist aber immer ein bisschen langweilig. Ich muss mir noch was richtiges Überlegen, damit ich wirklich eine Aufgabe habe. Auf dem Nachhauseweg signalisiert mir der Sportlehrer noch, dass ich morgen auf jeden Fall Sportsachen mitbringen muss: „Helen, Helen, saftra Volleyball Volleyball clothes clothes“. Ok boy.

Nach einem kurzen Besuch bei Babuschka gehe ich wieder mit Madina zum Leichtathletik. Es ist wieder sehr anstrengend, aber macht total Spaß. Alle sprechen Tadschikisch und da versteh ich außer ein paar zusammenhangsloser Wörter nichts. Ich kann mittlerweile aber schon Hallo, Tschüß, Danke, Stopp sagen. Und ein paar Wörter, die im Türkischen identisch sind. Nach dem Training gehen wir dann mit drei von Madinas Trainingsfreunden in „den Saal“, also das Fitnessstudio. Das gehört wohl dem Trainer. Der Weg ist weit und führt über einen Fliesenmarkt, einen verlassenen Basar und durch mehrere Häuser in einen kalten Kellerraum, der mit schönen Teppichen ausgelegt ist und auf zwei Mal 20 Quadratmetern ein paar Hanteln, Gewichte, Stangen und Plakate hat. Der Trainer zeigt uns ein paar Sachen und wir stemmen fleißig die Gewichte. Bei dem ganzen Essen ist Sport aber auch echt wichtig, puh.

Anschließend geht’s wieder nach Hause, was nicht weit entfernt ist und nach dem Essen gehe ich auch recht zeitig ins Bett.

Heute Morgen bin ich mit wenig Muskelkater aufgestanden und habe mich gefragt, was ich denn heute wohl im Praktikum mache oder auch nicht mache. Volleyball werde ich wohl spielen, aber was ich im Unterricht mache, oder ob ich da überhaupt hingehen soll, keine Ahnung.

Das Problem löst sich aber irgendwie von selbst, als ich in der ersten und zweiten Stunde in einer sechsten Klasse hospitiere, ein Fragenspiel anleite und nach der Pause mit ihnen Galgenraten spiele, sie zu Haustieren und allem möglichen befrage und wir letzten Endes Yoga machen. Sie wollen mich einladen, am Montag zu ihrer Präsentation „Bücher in meinem Leben“ zu kommen. Dafür muss ich auch noch etwas vorbereiten! In der dritten und vierten Stunde kommen die beiden Schüler zu mir, die an der Deutscholympiade teilnehmen werden und wir üben mündliche Kommunikation. Sie sind echt klug und haben viel zu sagen, bei der „Blinden Bildbeschreibung“ hapert es dann aber. Sie sollen jeweils ein Bild malen und es uns dann beschreiben, ohne dass wir es sehen. Die Ergebnisse waren aber ganz lustig. Und die beiden sind echt motiviert, was total schön (und mir neu) ist. Die hören gar nicht mehr auf zu reden! Ich muss wieder an den Spanischunterricht denken, in dem wir nie wirklich gesprochen haben und weine (fast). Die beiden Süßen bedanken sich tausendfach und schon klopft der Sportlehrer an der Tür und holt Helen ab. Ich sage, dass ich eigentlich Essen möchte und er schenkt mir ein Bonbon und eine getrocknete Aprikose aus seiner Jackentasche. Na lecker, haha. Ich esse dann aber erst nach dem Volleyballspiel. Dieses Mal spielen wir richtig und alle sind motiviert. Ich bin in der Mannschaft mit nur Lehrern (keine Lehrerinnen) und wir spielen gegen die Schüler (keine Schülerinnen). Der Rest der Schüler guckt zu. Ich weiß nicht, ob das jemals passiert ist, dass da eine Frau mitgespielt hat. Das Spiel ist laut und es wird recht viel diskutiert. Sport ist aber echt kulturübergreifend ne. Die Regeln sind klar und es gibt Handzeichen für alles andere. Und so ein bisschen Russisch verstehe ich ja auch schon. Zur Not muss mir jemand übersetzen. Und oft wird auch Tadschikisch geredet.

Anschließend gehe ich essen, wo mich die Mensafrau gleich erkennt und mich Lenitschka nennt. So süß. Ich bekomme Essen und esse. Danach gehe ich wieder ins Lehrerzimmer und beginne einen Text zu korrigieren, werde dann aber doch wieder zum Volleyball abgeholt und es werden zwei Spiele gespielt. Zum Glück hatte ich auch meine Sportsachen dabei. Mittlerweile ist schon die siebte Stunde und ich rede noch ein bisschen mit zwei anderen Lehrerinnen über mein Praktikum. Sie sagen, dass ich auch ruhig vom Schulgelände gehen kann, wenn mir langweilig ist und dass ich nur kommen muss, wenn ich möchte oder sie mir sagen, dass sie mich brauchen. Echt cool, aber ganz anders als in Deutschland. Da würde man so oft Aufgaben übernehmen, auf die man keine Lust hat und alle sind dann unglücklich, aber niemand spricht drüber. Muss ich mich definitiv noch dran gewöhnen. Nach der Schule fahre ich zur Bibliothek, die aber ausgerechnet freitags geschlossen ist. Also schlafe ich ein bisschen, lerne Russisch und gehe die Nachbarschaft erkunden. Da finde ich einen alten Freizeitpark und eine riesige Leninstatue. Außerdem diverse romantische Ansichten von süßen Kätzchen, die in Mülltonnen sitzen oder Teddybären, die in Pfützen schwimmen. Fotos werden irgendwann folgen, ich versprechs.

Babuschka hatte echt Angst, dass ich verloren gehe, aber ich bin ja wieder hier. Es gab noch Essen und Tee und jetzt muss ich gleich mal ins Bett. Den Kindern sind heute schon meine Augenringe aufgefallen. Wie schön.

Ich merke gerade, dass ich mir schon dieses arabische Zungenschnalzen angewöhnt habe, dass man statt ähm sagen macht (oder anstatt sich verbal über langsames Internet aufzuregen). Witzig.

Xaj (Tadschikisch für Tschüss, hört sich an wie engl. Hi)

 

Lena

Kommentar schreiben

Kommentare: 0