Zweite Woche, erste Hälfte

Vor genau zwei Wochen hat die große Panik in mir ihren Höhepunkt erreicht. Ein Tag vor der langen, anstrengenden Reise, die ich am 1.4. andersherum wiederholen muss. Und jetzt kann ich ehrlich sagen, dass ich darauf definitiv keine Lust habe. Manchmal denke ich, dass ich noch ziemlich lange hier sein werde, vor allem wenn es in der Schule zäh und langweilig wird. Und wenn ich dann an all die Reiseziele und Sehenswürdigkeiten in der Umgebung denke, kommt mir meine Zeit hier unglaublich knapp und begrenzt vor. Einige Leute sprechen nicht mal mehr im Konjunktiv davon, was wir machen, wenn ich im Sommer hier bin. Dann werden hier aber über 40°C herrschen und das ist mir dann doch ein bisschen zu warm.

Am Montag ließ sich der Frühling hier zumindest schon erahnen, nur damit wir wissen, auf was genau wir uns während des jetzigen norddeutsch-tadschikischen Nieselregens bei 3°C freuen können.

Aber nun zu meinem ersten richtigen Wochenende. Wochenenden sind für mich ja eigentlich zwei Tage inklusive Ausschlafen und lange aufbleiben und vor allem das Wissen, dass ein zweiter Tag folgen wird. Am Samstag mussten wir aber tatsächlich noch früher aufstehen als gewöhnlich, denn wir laufen samstags zu Fuß zur Marschrutka, wofür man ungefähr 5 Minuten mehr einplanen muss. Der Schultag ist netterweise sogar eine halbe Stunde kürzer als gewöhnlich. In der Schule habe ich mittlerweile auch schon ein paar Mal selbst unterrichtet, was spontaner gar nicht hätte sein können. Aber es hat immer geklappt, auch wenn die sechsten und siebten Klassen extrem laut sind und viel Russisch reden, weil sie nicht alles verstehen, was ich sage. Und dann können die auch nicht auf ihren Plätzen sitzenbleiben. Aufstehen müssen sie sowieso, wenn jemand an der Tür klopft oder wenn sie drangenommen werden. Aber diese Kinder stehen dann alle vor einem und schreien „Darf ich? Darf ich?“ (mit langem „i“) und haben tausend Fragen und Ideen. Es ist aber total süß, wie viel Mühe sie sich auch auf dem Schulhof und in den Pausen geben, nur um mit mir zu kommunizieren. Meistens stehen sie dann in Dreiergruppen vor mir, reden Deutsch, Russisch und Tadschikisch gleichzeitig und beraten und verbessern sich gegenseitig. Neben dem Unterrichten habe ich auch schon sämtliche Aufsätze à la „Liebe Redaktion der Schülerzeitung. Neulich habe ich im Internet zum Thema ‚Haustiere‘ recherchiert. Dort habe ich vier Meinungen gefunden, die ich euch vorstellen möchte. [...] Das ist alles, was ich zu sagen habe. Ich hoffe, ihr veröffentlicht meinen Artikel. Liebe Grüße.“ lesen dürfen. Es gibt immer recht lustige Übersetzungsfehler, die der mangelhaften Wörterbucharbeit zuzuschreiben sind. Wenn Claudia (im Buch heißen die Leute alle Claudia, Sabine, Olaf, Jens, Thomas usw. und sind zwischen 6 und 14 Jahren alt, so realitätsnah!) sagt, ihre Wochenenden seien immer „gleich“, muss man ein anderes Wort im Wörterbuch suchen, weil die Textwiedergabe in eigenen Worten erfolgen muss. Und im Wörterbuch steht bei „gleich“ auch „ebenso“. Einfach das Kleingedruckte ignoriert und schwupps schreiben sie „Claudias Wochenenden sind immer ebenso“.

„Und nun möchte ich von meinen eigenen Erfahrungen berichten.“ (guter Übergang, das ist wichtig für das Deutsche Sprachdiplom. Und wenn man den ganzen Tag so einen Brei liest, spricht und schreibt man irgendwann auch so).

Samstag nach der Schule sind Madina und ihre Mama mit mir nach Arbob gefahren, einen Stadtteil von Khudjand, wo es einen alten Palast und ein beeindruckendes Teehaus gibt. Wir sind etwas umher gelaufen und haben das Museum besucht, und sind bestimmt auf einigen Hochzeitsfotos. Anschließend sind wir zurück in die City, haben Tante und Cousin eingesammelt und sind zum Vater gefahren, mit dem wir georgisch gekocht haben. Die Tante war sehr groß und ihre Taktik mit mir zu reden, war einfach sehr laut und langsam Russisch oder „Englisch“ zu sprechen. Also in etwa so, wie Deutsche im Ausland laut Deutsch reden. Man, hat die sich gefreut als sie – genau wie meine Gastmutter – mir die Kürbiskerne, die ich ja auch so erkannt habe, mit HALLOWEEN HALLOWEEN erklären konnte. Und sie konnte „Angela Merkel“ sagen. Wow. Dann wollte sie auch noch wissen, ob iPhone oder Samsung und hat sogar noch ein paar Freunde angerufen, um diese zu fragen, ob sie ein iPhone oder ein Samsung-Telefon haben. Samsung scheint die richtige Antwort gewesen zu sein. Diese Frau hat mich fertig gemacht. Das Essen war leider nicht ganz so gut, schade. Dafür kamen im Fernsehen The Voice, Supertalent und Wer wird Millionär auf Russisch (da bekommt man 3 Millionen Rubel). Tadschikisches Fernsehen kenne ich noch gar nicht, weil hier ja alle eher Russland-orientiert sind.

Sonntag haben wir dann so lange geschlafen, wie man eben schlafen kann, wenn man jeden Tag um halb sieben aufsteht und sind mittags in die Stadt gegangen. Der Weg zu Fuß war sehr schön und letztendlich waren wir dann in der Altstadt, wo es Panschanbe, den großen Basar gibt. Genauso viele Bettlerinnen wie in Halle, die bestimmt alle auf Tadschikisch „Hallo bitte“ gesagt haben und ganz viele Tauben, die von Kindern gefüttert wurden. Die Moschee dort haben wir von außen besichtigt, den Markt von innen. Und es hat so gut gerochen! Und es gibt dort alles! Alles, alles, alles. Und das besonders günstig. Also Adidasschuhe oder Markenuhren für 30 Somoni und DVDs für 3. Wechselkurs eins zu zehn. Also alles entweder halb legal oder billig aus China importiert. Zum Thema Kinderarbeit fällt mir da ein, dass eine Schülerin von mir in den Sommerferien in einer Näherei arbeitet, um sich das Schulgeld zu verdienen, weil ihr die Bildung eben so wichtig ist und sie Deutsch lernen möchte, um ein Mal in Deutschland zu studieren.

Wir waren außerdem noch in dem Sportladen, der hier einen ähnlichen Stellenwert hat, wie in Amerika Hollister, oder in Deutschland ein Nike-Store für Reiche hätte. „li-ning“ ist eine chinesische Marke und echt teuer! Aber es ist irgendwie der einzige Laden, der viele Sportsachen anbietet.

Montag war das Wochenende dann auch schon wieder vorbei und mir war klar, dass zwei Tage Wochenende (oder die studentischen drei Tage) echt cool sind. Es ging dann wie gewohnt chaotisch weiter und ich kann gar nicht mehr, sagen, was ich an welchem Tag gemacht habe. Irgendwelche Übersetzungen von Baumaterialien habe ich für die Direktorin durchgeguckt, Aufsätze gelesen, Tests kontrolliert, unterrichtet, meine Lieblingsbücher vorgestellt, mir eine Visitationsstunde in der vierten Klasse angeguckt (wo alle zugucken dürfen, es war mega weird), Schülerinnen und Schülern bei Aufsätzen für einen Wettbewerb geholfen, meine drei Leute für die Deutscholympiade unterrichtet und jeden Tag ohne Lebensmittelvergiftung in der Mensa gespeist. Am Montag war das Wetter sehr gut (fast 20°C! ) und ich bin mit der anderen deutschen Deutschlehrerin noch Tee trinken gegangen. Danach bin ich dann mit einer deutschen Freiwilligen noch ein Mal Tee trinken gegangen, was total nett war. Sie hat mir auch noch eine verlassene Moschee gezeigt mit eingefallenen Decken und Bäumen, die sich schon ihren Weg durch das Gemäuer gesucht haben. Sowas mag ich ja! Und weil sie aus Dresden kommt, hat sie das Wort „losmachen“ benutzt. Das mochte ich auch. („Sollen wir los machen? = Wollen wir jetzt gehen?)

Abends war ich dann wieder komplett KO, hatte ein bisschen Sonnenbrand und Babuschkas gutes Essen hat mir dann den Rest gegeben und ich bin früh schlafen gegangen. Dienstag war dann wieder Sport und ich habe weniger Muskelkater davongetragen als letzte Woche. Anschließend waren wir bei „Taj-Burger“, also quasi McDonalds, nur dass es die ganzen Fastfoodketten hier nicht gibt. Und wie ich so drüber nachdenke, gibt es keinerlei Ketten der Weltunternehmen hier. Es gibt ein paar Läden mit schlecht kopierten Logos wie „Zara City“, „NewYork“ und „Mikki“ (=Disney), aber auch kein Subway, H&M oder halt Adidas. Bei Taj-Burger lief Musik von Sarah Connor und von den Scorpions und Lena war begeistert von der kyrillischen Version der englischen Wörter auf dem Menü. Ich freu mich wirklich immer, wenn ich Wörter lesen kann. Aber umso mehr freue ich mich, wenn ich sie auch verstehe! Wenn ich anderen Leuten zuhöre, kann ich mittlerweile schon einiges verstehen, aber selber sprechen ist nicht drin. Vollgefressen mit Fastfood (hier auch „ungesundes Essen“ genannt) falle ich wie ein dicker Buddha in mein Bett. Mittwochs entdecke ich einen englischsprachigen Fernsehsender, penne aber vor Erschöpfung ein. Donnerstag gehe ich dann alleine zur Schule, weil Madina „krank“ ist, also für ihren Geburtstag am Samstag shoppen geht. Aber mein Tag alleine in Khudjand hat einen eigenen Eintrag verdient.

Also bis dahin, ich esse jetzt noch ein bisschen Sumalak und chille mit Chupa auf der Couch.

 

Lena

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