Ein guter Tag

Nun ist es schon recht lange her, dass ich zuletzt etwas geschrieben habe. Das ist aber auch ein gutes Zeichen, denn ich fühle mich hier wohl und hab immer was zu tun. Und natürlich verbring ich lieber Zeit mit der Gastfamilie und Freunden, statt mit meinem Laptop.

Ich merk auch, dass die Zeit immer weiter voranschreitet und mein Abschied näher rückt. Ich glaube, dass ich es in Deutschland noch weniger als jetzt realisieren kann, jemals in Tadschikistan gewesen zu sein.

Bevor ich aber jetzt in der Philosophie versinke, erzähl ich mal von dem bisher spannendsten Tag. Freitag war das Wetter sehr gut, aber nach der Schule war nicht mehr genügend Zeit, um etwas Richtiges zu unternehmen. Also haben wir den Plan, ein deutsches Dorf zu besuchen, auf Samstag verschoben. Nach der Schule sind wir also losgezogen, also Wiebke (die deutsche Deutschlehrerin), Hendrik (der neue kulturweit-Freiwillige) und ich. Zuerst ging es mit dem Taxi an den Rand der Stadt, zum „zentralen Omnibusbahnhof“. Das ergibt irgendwie keinen Sinn, dass sowas dann auch noch den Namen „zentral“ trägt, aber in Berlin ist der ZOB auch nicht zentral. Das erste Taxi war eine ganz gewöhnliche Klapperkiste, die zufälligerweise auf dem Schulhof stand, weil einige Schüler sich vom Supermarkt haben abholen lassen, nachdem sie für die große Party morgen eingekauft haben. Da wir aber eine Tour in die Berge planten und der Taxifahrer sowieso einen gewöhnungsbedürftigen Fahrstil und keine Sicherheitsgurte hatte, mussten wir wechseln.

Meine Wasservorräte neigen sich dem Ende zu und Hendrik und ich statten dem örtlichen Supermarkt noch einen kurzen Besuch ab, während Wiebke einen guten Preis für die Taxifahrt ausmachen will. Als wir aus dem Supermarkt herauskommen, fehlt von ihr jede Spur. Nur ein Taxifahrer versucht uns in dein Taxi zu drängen, was wir dankend ablehnen, weil wir ja Wiebke suchen. Er hört aber nicht auf zu reden und deutet letztendlich auf Wiebkes Tasche, die auf dem Rücksitz liegt. Dazu sagt er noch „Mama gavarit“, also im Grunde genommen, dass unsere „Mama“  ihn beauftragt hat, uns abzufangen. Sie sitzt derweil im Restaurant und isst eine Suppe. Der Taxifahrer wartet aber ganz geduldig. Liegt vielleicht an dem europäischen Preis, den die beiden abgesprochen haben.

Nach dieser Verschnaufpause geht’s los. Das Standardgespräch a la „Ihr kommt aus Deutschland, ich kenne auch jemanden in Deutschland“ geht los (sein Bruder arbeitet bei Mercedes in Stuttgart) und plötzlich hat Hendrik das Handy des Taxifahrers am Ohr, in dem jemand auf Englisch fragt, wie er nach Deutschland kommen könne. Das Handy bleibt den ganzen Nachmittag der treue Begleiter des Taxifahrers, meistens auch leider in seiner Hand oder an seinem Ohr, während er nicht angeschnallt ist. Es gibt sogar hinten Sicherheitsgurte. Luxus! Der Preis war ja schon vorher abgemacht, also konnte ich mich anschnallen, ohne eine höhere Summe fürchten zu müssen. Wenn der Taxifahrer gerade nicht telefoniert, spielt er den Reiseleiter und erzählt Geschichten über all die Dörfer und Fabriken, die wir passieren. Seine Geschichte von einem Fluss, in den man nur seine Hände hält und schon Gold in der Hand hat, lässt den vermuteten Wahrheitsgehalt und die Glabwürdigkeit all seiner anderen Stories aber sinken. Übrigens alles auf Russisch, aber Wiebke konnte das meiste übersetzen und ich versteh ja auch schon ein bisschen, aber echt nur ein bisschen.

Er erzählt auch viel über die Chinesen und Kanadier, die hier in den Uran-Minen arbeiten, was bei uns die Frage aufwirft, was Uran überhaupt ist. In der Entfernung zeigt er auf rote Stellen im Berg, die angeblich Uran sind. Mittlerweile haben wir auch schon definitiv die Stadt verlassen und die erste Bergkette und die Mautstelle (die chinesische Schilder hat) passiert. Nun sieht man in der Entfernung die schneebedeckten Kuppen Kirgistans und Usbekistans. Und da wir schon mal über Usbekistan sprechen, zeigt der Taxifahrer uns auch gleich sein usbekisches Visum. Trotz seines Multitaskings fährt er sicher und warnt uns sogar, bevor er über ein Schlagloch fährt. Den ersten Halt machen wir an einem Ortsschild für eine Stadt und kurz darauf bei einer Schafherde. Wir gehen dichter ran, machen Fotos und merken dann, dass der Schäfer auch da ist. Und nein, das ist nicht so ein Bauer wie zu Hause, der mit seinem hellblauen Pickup ein paar Mal am Tag zu seinen ausgebrochenen Schafen fährt und sie aus den Gärten der Anwohner entfernt. Nein, das ist so einer, der jeden Tag den ganzen Tag mit seinen freilaufenden Schafen auf der Wiese steht und aufpasst. Es war wirklich krass, den zu sehen und zum Glück konnte unser Taxifahrer übersetzen und hat dann auch ein Foto von uns mit dem Schäfer gemacht. Das Foto werdet ihr auch früher oder später zu Gesicht bekommen, aber der Schäfer sah wirklich unglaublich aus. Also unvorstellbar. Und mit so ganz brauner gegerbter Haut. Ich frage mich, was er wohl gedacht hat, als wir da ankamen. Und generell, was er den ganzen Tag so denkt und was er sonst in seinem Leben so macht. Einfach eine andere Welt.

Nach ungefähr einer halben Stunde Fahrtzeit kommen wir in Tabasha an, das jetzt Istiklol heißt, weil irgendwie ständig Städte umbenannt werden. Nach nur zwei Minuten in der Stadt, fährt auch schon die Polizei vor und will uns kontrollieren. Aber weil nur Wiebke gerade am Auto war, wurde auch nur sie kontrolliert. Mehr oder weniger verfolgt hat uns das Polizeiauto aber trotzdem. Die dachten bestimmt, wir sind Spione.

Und jetzt kurz zum Dorf. So richtig ein Dorf ist es nicht, eher eine Stadt. Zu Sowjetzeiten haben hier noch deutlich mehr Menschen gewohnt und es war gepflegter, aber „die Russen sind immer noch hier“. Das sagt zumindest Charles, ein Engländer, der dort eine Firma hat, die aber ‚secret‘ ist und keiner sagt genau, was die arbeiten. Es geht auf jeden Fall um Minen und sicherlich auch um Uran. Unwissend wie immer, hatten wir Wiebke das Steuer in die Hand gegeben (nur metaphorisch, der Taxifahrer ist gefahren) und sie hat uns nach einer kleinen Stadtrundfahrt inklusive Spaziergang durch die Straßen, wo eine Frau erkennt, dass wir Deutsch sprechen, zu eben dieser Firma gebracht. Die Assistentin macht die Tür auf und verneint Charles‘ Anwesenheit, nach einem kurzen Anruf ist Charles dann aber doch da, führt uns durch das Bürogebäude und bietet uns Kaffee an. Und den Taxifahrer haben wir im Schlepptau. Der interessiert sich sehr für die Firma und hat schon wieder jemand Englischsprachiges am Telefon. Das Gebäude ist frisch saniert und die Badezimmer sind sogar schöner als die meisten in Europa (da fällt mir wieder auf, dass ich in Asien bin).

Nach dem Kaffee fahren wir zu einem Friedhof, auf dem es deutsche Grabsteine gibt. Nach dem Krieg wurden hierher nämlich deutsche Kriegsgefangene gebracht, um im Uranabbau zu arbeiten.

Es gibt hier auch eine Menge Steinhäuser nach deutschem Stil. Aber es gibt eben auch ein Konzentrationslager, wo die Männer untergebracht wurden. Und oft wussten die Angehörigen nicht mal, dass ihre Verwandten hier sind und noch leben. Neben Russisch, Tadschikisch, Usbekisch, Chinesisch, Englisch und Pamir hat man hier eben auch Deutsch gesprochen. Irgendwann in den Siebzigern hat aber jemand all die Gefangenen zurück nach Deutschland gebracht. Also sind hier jetzt nur noch die Nachfahren, und die deutschen Grabsteine. Und natürlich auch ein paar Nachfahren, aber die sprechen kein Deutsch mehr. Der Mensch, der sie alle nach Deutschland gebracht hat, hat dafür einen Mercedes bekommen. Das war dann der erste Mercedes hier im Dorf.

Diese Stadt war so faszinierend! Erst mal so viele Sprachen und Schriften und dann auch noch die Berge. Aber vor allem dieses Ding mit den Kriegsgefangenen und den wohl nicht so ganz legalen Arbeiten in den Minen, die ja auch mega gefährlich sind wegen der Radioaktivität. „Die Russen“ sind auch noch hier und wer weiß, was sie hier tun. Man fühlt sich echt wie in einer anderen Welt! Die deutsche Bauweise verzerrt das Bild aber wieder und ich weiß gar nicht, wohin ich das jetzt einordnen soll. Es war einfach so verrückt und anders und falls es von dieser Welt ist, dann ist es irgendwo in der hintersten Ecke. Und das ist es ja wirklich und das merkt man.

Langsam wird es dunkel und wir sollten den Rückweg antreten. Schnell noch die Gastfamilien informiert, dass wir wahrscheinlich erst 1,5h nach der versprochenen Zeit eintreffen werden und auf geht’s.  Der Taxifahrer, der ja auch noch dabei ist, und versucht, ein guter Reiseführer zu sein, tätigt auch mehrere Anrufe. Dafür, dass wir so lange gebraucht haben und er sogar mit uns über den Friedhof kommen musste, ist er echt gechillt. Ich will gar nicht wissen, wie das im spießigen Deutschland wäre.

Es geht auf jeden Fall wieder vorbei an einem kleinen Mini-Fluss, der irgendwo aus den Bergen kommt und Teil der Wasserversorgung für die Stadt ist und rein ins Gewitter. Zum Glück sind wir aber im Auto, und ich bin sogar angeschnallt, also kann nichts passieren. Es sind zwar ein paar Autos unterwegs und das Unwetter ist nicht ganz alleine, aber ich finde den Gedanken sehr interessant, dass Unwetter ja teilweise irgendwo in der Natur wüten und niemand etwas mitbekommt.

Abends sitze ich dann völlig verwirrt und müde in meinem Zimmer und frage mich, was eigentlich alles passiert ist. Das war wieder einer der Tage, an denen ich nicht realisiere, wo ich gerade bin und auch einer der Tage, an die ich mich lange zurückerinnern werde.

Zum Glück hab ich es jetzt aufgeschrieben und werde es hoffentlich nie vergessen.

Bis irgendwann davor,

 

Lena

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